My true North

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Schon bevor ich den Magnetiker kennen lerne, habe ich eine besondere Beziehung zum Nordpol bzw. zum Eis. Ich erkläre mir das so: Als Jugendliche lese ich Expeditionsberichte und bin fasziniert von den Mühen und Entbehrungen, den Strapazen und Tragödien, denen sich diese Männer aussetzen, um ein Stück neues Land zu entdecken. Christoph Ransmayrs Die Schrecken des Eises und der Finsternis macht den Anfang einer langen Reihe von Büchern über den Pol, das Eis, die Berge und den Schnee.

Es ist eine rein virtuelle Beziehung. Ich bin noch nie im nördlichen Polarkreis gewesen. Meine Erfahrungen mit Eis und Schnee beschränken sich auf die Alpen – allerdings gibt es da ein paar besondere persönliche Grenzerlebnisse: einen Fast-Absturz, eine Lawinen-Auslösung mit knappem Ausgang, einige erfrorene und qualvoll wieder auftauende Finger und eine Bergrettung durch die Schweizer Bergwacht.

Im Englischen hat My true North eine Bedeutung im übertragenen Sinne. Der Magnetiker bringt mich darauf, als er mir von einer Exkursion auf einen kanadischen Gletscher erzählt. Ein Kollege fragt ihn abends in der Hütte, ob er schon seinen wahren Norden gefunden hätte. Die Ratlosigkeit in seinem Blick spricht Bände. Seine Bestimmung, seine Seelenverwandte, seine echte große Liebe? Oder läuft er etwa immer noch dem Kompass nach? Der führt nur an den magnetischen Pol – und der verändert seine Position täglich, wie ich neuerdings weiß.

Unter Magnetikern ist die Suche nach dem True North ein running Gag. Trotzdem wollen sie eine aufrichtige Antwort und das fügt ihrem Job eine mystische Note hinzu. Sehr sympathisch, finde ich und lächle. Und natürlich stelle ich mir im Stillen die Frage nun auch. Habe ich den Nordpol nach so vielen Routenbeschreibungen eigentlich schon gefunden? Haben mir die Charaktere in den Büchern einen Weg gezeigt? Was geht mir so unter die Haut wie klirrende Kälte? Eines weiß ich sicher. Ich will da nicht selbst hin, wo es kalt und unwirtlich ist. Wahrscheinlich würde ich keinen Tag da draußen überleben. Doch das ist auch gar nicht notwendig. Ist ja nur eine Redewendung – oder doch mehr: die Verantwortung, meinen Nordpol zu finden.

Sieht gut aus. Klare kalte Luft. Die Richtung stimmt. Hätte ich sonst einen Magnetiker getroffen? Oder fände Bad Religion gut? Na, dann weiter so.

3 thoughts on “My true North

  1. Es geht um die richtige Richtung im Leben. Nicht darum, auch wirklich einen exakt vorgegebenen Platz im Leben zu erreichen. Das ergibt eine teils reizvolle, teils melancholische Spannung. Und es impliziert, dass etwas verborgen ist. Und etwas anderes gefunden werden muss. Und wenn man es gefunden hat – wirklich dorthin gehen, als würde man eine Forderung einlösen wollen? Ja, eine Richtung im Leben finden bedeutet schon, irgendwo hin zu gehen. In postmodernen Zeiten von Billigflugzeugen, Schichtplänen, Controllern und Kennzahlen für jeden Pieps übersieht man aber vielleicht, worum es wirklich geht. Und das steht manchmal zwischen den Zeilen.

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