Starling Darling

Starling black and white

Einem spontanen Impuls folgend nenne ich den kleinen Star Starling. Säße ich hundertjährig in meinem Lehnsessel vor dem Fenster und schaute hinaus, so würde meine Pflegerin zu mir sagen: „Ah, da ist er ja wieder, der kleine Wicht.“ Er ist natürlich kein Wicht, was ist überhaupt ein Wicht? Nur eine Redensart? Ein Phantasiegeschöpf? Vielleicht kennt sie sich bei Vögeln nicht aus.

Die Szene verschwindet wieder aus meinem Kopf, ich bin nicht hundert und sehe Starling von meinem Schreibtisch aus. Sie ist auch kein Er, sondern eine besonders hübsche Sie, ein Starweibchen, eine Besucherin im schwarzen Kleid mit weißen Punkten, die immer wieder kommt. Starling spricht beziehungsweise singt. Hört sich an wie Vogelhiphop. Seit Jahren hat sie ihr Nest über der Eisdiele und kennt alle Arten von Bestellungen: Bällchen, Kugeln, Becher, Tüten und Waffeln mit Vanille, Schoko, Banane und Sahne – all das höre ich aus ihrem Gesang. Eine Wiedergabe von Gewohntem, Geklautes aus Gefrorenem. Sie pickt Töne und mischt sie neu auf. Starling Remix.

Starling sieht mich am Tisch sitzen. Wie ich hier auf die Tastatur tippe. Sie kredenzt mir ein paar Köstlichkeiten aus der Eisdiele:

„Tiramisu!“ „Cookie! Cookie!“

Sie kann nicht wissen, dass Eiscreme mich nicht vom Hocker reißt. Eis zählt zu den süßen Sachen, die mich am wenigsten interessieren.

Starling spürt keine Welle der Begeisterung, nur Befremden. Ihre schwarzen Knopfaugen reflektieren meine Gedanken. Ich mache ihr ein Angebot.

„Starling Darling“, sage ich, wenn sie angeflogen kommt. Sie liebt diesen Namen, das merke ich sofort. Obwohl sie kein Englisch kann und das Schweigen der Lämmer nie gesehen hat. Sie kann den Namen auf meinen Lippen lesen. Wenn ich ihr einen Augenblick Aufmerksamkeit schenke, dann plustert sie sich auf und lässt eine Feder fliegen.

„Starling Darling“ flöte ich und lächle. Bald wird sie den Namen singen und ihn vielleicht für eine Sorte Eis halten, die sogar mir schmeckt.