Jahrelang sitze ich auf einem Felsen, auf den abends die Sonne scheint. Der Stein speichert die Wärme und gibt sie an mich ab. Durch das Gestrüpp blicke ich in die Gegend. Vögel zwitschern, Wind rauscht durch die Bäume, Flugzeuge ziehen weiße Fäden durch den Himmel. Mein erstes Idyll.
Über die Jahre folgen weitere, temporär verklärte Idyllen. Beim Gegenwärtigen ist die Hangneigung nicht mehr so steil, das Gelände offen und die Geräusche sind nicht so ganz wie ich sie mag. Motorenlärm aus dem Tal und aus der Luft. Trotzdem finde ich mich ein. Es ist ein gefährlicher Ort. Eine Wiese mit Bäumen und Wald drum herum. Klingt harmlos. Die Gefahr ist nicht unmittelbar. Sie zieht als Möglichkeit über die Wiese; macht Schatten zu schwarzen Gestalten, das Wippen der Wipfel zu dunklem Gewand und das Zwitschern der Vögel zu verschlüsselten Pfiffen. Ich stehe wie ein Reh. Alle Sinne auf hab Acht vor Räubern.
Rascheln und Knacken schrecken mich auf. Ich stolpere über einen alten Ast und falle auf den Rücken. Mein Atem stockt, ein Schmerz zuckt. Mit verschleiertem Blick schaue ich in den Himmel. Hier liege ich auf der Wiese wie ein Käfer in seinem Panzer und rühre mich nicht aus Angst vor dem nächsten Schmerz. Ich spüre, wie sich eine Ohnmacht anschleicht. Mein blutleeres Gehirn kündet einen Blackout an. Das will ich aber nicht und zwinge meine Beine aus der Starre. Strecke sie hoch in die Luft. Das Blut fließt zurück.
Nach einer Weile stehe ich auf. Der Rücken schmerzt. Aber ich kann gehen. Ob ich ohne Ohnmacht war, weiß ich nicht mehr. Eine kleine Erinnerung an ein Liegen auf der Wiese. Grasabdrücke auf meiner Haut. Ameisen auf den Schuhen. Meine Augen auf den blauen Himmel gerichtet. Eine Lücke in der Zeit. Egal, ich laufe. Der alte Ast hat mich geschlagen. Noch Wochen später ächzen meine Knochen. Ein schwächer werdender Nachhall. Abgespeichert als Unfall. Gescholten als Unachtsamkeit. Verschmerzt als Vorfall in einer Reihe von Vorfällen. Das Habacht funktioniert nicht immer und auf allen Kanälen. Es gibt Funklöcher und Sonnenwinde und dann falle ich schon mal. Dem Idyll in den Schoß oder einfach auf die Schnauze.
Vielleicht war das Habacht zu aktiv. Wer stets auf der Hut ist kann selbst im idyllischsten Plätzchen keine Ruhe finden. Gute Besserung wünsche ich dir.
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