Schwan

schwan auf dem see mit Spiegelbild

Mir schwant Böses als ich den Raum betrete. Feindseligkeit hängt wie ein Vorhang zwischen Tür und Angel. Mein Instinkt wittert eine Intrige. Ich mache mich gefasst auf eine Hinterhältigkeit. In dieser Küche schmore ich nicht zum ersten Mal und daher ist es nicht schwer, den Braten zu riechen. Immer wieder komme ich in Teufels Küche. Dabei ist es doch nur ein Familienessen. Ich vermute, das liegt am Storytelling.

Im Storytelling gibt es eine goldene Regel: Sei in deiner Geschichte nicht die Heldin. Erliege nicht der Versuchung, Bewunderung oder Mitgefühl zu wecken. Vermeide Empathie mit deiner Person. Es geht immer schief. Sei darauf gefasst, dass du abstürzt.

Eine Heldin ist dann glaubhaft, wenn es ihr ganz schlecht geht. Wenn sie – wie ich – zwar Lunte riecht, ihr das aber überhaupt nichts nützt. Alle atmosphärische Vorahnung kann ich in den Wind schreiben, wenn die Leute in Teufels Küche meine Arroganz argwöhnen. Meine nicht zu entschuldigende Leichtfertigkeit des Nichternstnehmens der Situation. Welche Situation? Habe ich die Situation falsch eingeschätzt? Ich befürchte es.

Die Situation ist folgende: Ich habe von meinem Jagdrecht Gebrauch gemacht und einen Schwan geschossen. Ich rupfe ihn und bereite ihn nach einem Rezept aus dem Internet zu. Ich serviere ihn – und breche ein Tabu. Tabus sind nicht zu Brechen da, jedenfalls nicht, wenn es ums Töten von Schwänen geht. Da hat nur ein ganz kleiner Kreis von Jägern Verständnis. Meine Familie, die den Schwan essen soll, hat kein Verständnis. Sie denken, es ist ein Truthahn, bis ich sage, es ist ein Schwan. Sie lachen und glauben mir nicht.

Also erzähle ich die ganze Geschichte. Dass es gar nicht so einfach war, einen Schwan zu treffen, denn schließlich war er ja in der Wildnis und nicht auf dem Dorfteich. Das interessiert sie aber überhaupt nicht. Als ihnen aufgeht, dass es mir Ernst ist, werden sie alle bleich und legen ihr Besteck zur Seite. Wie kannst du einen Schwan töten? Hast du keine Moral?

Habe ich keine Moral? Kein ästhetisches Empfinden? Ein schönes schneeweißes Tier habe ich mit Blut besudelt. Ich erinnere mich an das leckere Kaninchen vom Osteressen. Niemand hat gefragt, von welcher Farbe sein Fell war. Vielleicht weiß. Aber das sage ich nicht. Ich bin ja schon in Teufels Küche. Ich gebe zu, ich hatte ein komisches Gefühl bei der Sache mit dem Schwan. Dann habe ich die Situation aber schleifen lassen und jetzt habe ich den Salat. Ich rechne mit einer Kaltstellung. Mit familiärem Strafschweigen und missbilligender Ignoranz. Das können die gut, weil Starrsinn auf unserer Stirn steht. Vielleicht berechtigt. Schließlich hätten wir fast einen Schwan gegessen.

Fremder Schmerz

Anna und ich

Nur der verwandte Schmerz entlockt uns die Träne, und jeder weint eigentlich für sich selbst.
Heinrich Heine

“Schau dir dieses Bild an. Ich mag es in diesem Licht.”
“Ich weiß nicht …. mir kommt es brutal vor.”
“Brutal? Hm, vielleicht, aber auch anziehend.”
“Da scheint mir eine Menge Schmerz im Spiel zu sein.”
“Ja, brennender Schmerz…”
„Fremder Schmerz geht nicht ans Herz.“
„Was ist das? Eine Bauernregel gegen Empathie?“
„Es ist ein Sprichwort, das ich aus meiner Sprichwortsammlung kenne.“
„Shakespeare sagt auch so etwas Ähnliches: „Jeder kann den Schmerz bemeistern, nur der nicht, der ihn fühlt“.“
„Seltsam. Beides kommt mir fremd vor. Dein Schmerz, meine Liebe, scheint wie ein Echo auch bei mir zu wirken.“
„Vielleicht weil wir verbunden sind.“
„Aber auch der Schmerz in diesem Bild löst Rührung und Mitgefühl in mir aus.“

„Was nicht mehr Schmerz wäre…“
„…. sondern die Erinnerung an etwas, wovon ich glaube, es so schon empfunden zu haben.“

„Sicher kannst du da nie sein.“
„Nein, aber es geht um die Annäherung, nicht wahr? Der Versuch erzeugt Wärme.“
„Womit wir wieder bei diesem Bild wären … brennender Schmerz.“