Oscar One

Die nächste Ebene. Eins höher. Oder tiefer – je nachdem. Tiefer im Sinne von Innen. Höher im Wörtlichen und Übertragenen. Anna sagt ich habe Lust auf den nächsten Level in meinem Leben. Bevor ich fragen kann in welchem Spiel denn. Sie meint es ernst. Es geht um mehr. Um Existenz.

OscarOne1Ist dir langweilig. Nein. Ja. Du weißt schon. Dann schweigt sie. Ich weiß nicht aber ich schweige auch denn das ist die beste Methode Anna zum Sprechen zu bringen. Sauge an meinem Strohhalm. Lasse das Eis im Glas klimpern und höre mit Hundertprozent Aufmerksamkeit wie es knackt. Anna malt ihre Backenzahnreihe aufeinander, ihre Kieferknochen knirschen. Ihr Zahnarzt hat ihr deswegen zu Akupunktur geraten aber sie hat Angst vor den Nadeln. Er will sie so lange nicht behandeln bis sie den Druck rauslässt. Locker wird im Kopf. Wieder denken und schlafen kann ohne das Pressen auf die Gelenke.

Dann sprudelt es aus ihr heraus. Also ich will etwas Neues erleben aber nicht unbedingt nur neu es muss natürlich auch besser sein. Einen qualitativen Sprung will ich machen. In Leichtigkeit leben. Gelassen genießen. Gleichgültig gegenüber dem ewigen Generve. Wer nervt denn. Na alle mehr oder weniger. Sie ist in einer schwierigen Stimmung, eine Silbe zu viel von mir und sie kippt. Es liegt mir nicht hier sensibel zu agieren. Zwar wäge ich ab wie weit ich die Strippe ziehe entscheide mich dann aber gefühlsmäßig auf der sicheren Seite für die Provokation. Wer soll es ihr denn sagen wenn nicht ich. Ich wähle den ich-bezogenen Konjunktiv. An deiner Stelle würde ich machen was der Arzt sagt.

OscarOne2Was hat das denn damit zu tun. Alles. Wahrscheinlich finden eher die anderen dass du nervst. Bis du jetzt auf deren Seite. Nein aber ich könnte mir das vorstellen. Weil du ja schon sehr angespannt wirkst. So tue ich das. Ja das tust du liebe Anna. Man kommt nicht ohne Anstrengung den Abhang hoch. Den Abhang hoch wie klingt das denn, hihi. Du weißt was ich meine. Und du meinst dass Akupunktur das Allheilmittel ist. Nein natürlich nicht, aber sie ist ein Anfang. Am Anfang war die Akupunktur, haha, dass ich nicht lache. Wir können eine Wette abschließen wenn du magst. Ich glaube nämlich du bist feige. Hm lecker Feige.

Das ist eine Sackgasse. Anna hat sich ins Albernstadium hineingelabert und gackert mich an. Keine Konversation mehr möglich. Ich grinse zurück und frage was steht auf der Karte. Heute kein Alkohol, wie wärs mit Oscar One. Mix of fresh black & raspberries, pineapple juice, cranberry juice, passion fruit juice and orange. Den wir für den Kellner halten sagt er ist der Geschäftsführer und er habe den Drink selbst kreiert und weil er nur frische Beeren und keine Konserven enthält was jetzt in dieser Jahreszeit schon teuer sei aber keine Kompromisse nicht wahr und für unsere Gäste nur das Beste schmecke Oscar One wirklich umwerfend. Wir trinken vier Oscar One. So schnell wirft uns nix um.

Hinterher

hinterher1Wieder im Wald wecken wir die schlafenden Hunde. Wir hetzen sie über die Hügel bis sie keuchen, wir lachen sie hecheln. Wir dachten die Hunde wären schneller als wir. Würden vierleichtbeinig voranlaufen, im Laub schnüffeln, mit dem Schwanz wedeln und dann ungeduldig auf uns warten während sie diesen menschenfreundlichen Blick auf uns werfen. Weit gefehlt.

Wir liegen im Moos und wärmen uns an den schräg einfallenden Strahlen der Sonne. Das Laub unter uns knistert trocken. Käfer krabbeln. Das nackte graue Holz knackt. Hat seine Rinde abgeworfen. Aalt sich im Licht. So wie wir. Und die Hunde. Ein buntes Knäuel von Fell, Klamotten, Haut und Haaren. Sie haben sich ihre Pfoten geleckt als wären wir durch glühende Kohlen gelaufen. Haben nach der Wurst geschnappt als hätten wir eine Wüste gequert. Unsere Nähe gesucht als wären wir Überlebende aus dem Buch Die Wand von Marlen Haushofer. Jetzt pennen sie als wären wir seit Tagen ohne Pause unterwegs. Wir lehnen unsere Köpfe an ihre Körper und hören einen Specht in einen toten Stamm hämmern.

hinterher3Über unseren Häuptern kreisen unsere Auren, kleine farbige Feen und Faune. Sie wirbeln und schweben. Werden eins. Wieder auseinander. Ein Sog aus Intensität, eine Quelle an Inspiration. Sprechen wäre jetzt Sünde. Schwer atmen und schweigen. Dann lautlos lächeln. Überlaufen vor Glück, ganz kurz. Dieser winzige Moment dehnt sich zu gefühlter Ewigkeit. Wie wir Menschen eben empfinden. Wir dehnen die Zeit wie Einstein. Nur das Licht zählt, sonst nichts. Es fließt in uns hinein bis wir leuchten. Der Glanz ist nicht von dieser Welt.

Wir wecken die schlafenden Hunde vor der einbrechenden Nacht. Auch nach dem Schlaf sind sie müde und wieder sehen uns ihre Augen an als würden sie uns anklagen. Das Spiel Herr und Hund gewinnen wir ohne Anstrengung und schon laufen sie wieder hinter uns her. Hinterher.

Kamikaze

Die Poesie in meinem Kopf steht Kopf. Knallt gegen gepolsterte Hirnwände. Quetscht und prellt. Ist am Ende und ich kann mir keinen Reim darauf machen. Anna sagt das ist eine Phase. Mach dir keinen Kopf Kamikaze. Sagt es ganz sanft aber ich schnurre nicht. Mein Nackenfell sträubt sich. Anna sagt lass uns ausgehen.

IMG_1346Unsere knallroten Nägel krallen sich in die Facetten von echtem Kristall. Die Bar aus lackiertem Mahagoni wirft uns unser Lachen zurück. Unsere blutroten Lippen schmieren über den geschliffenen Salzrand. Unsere schwarzgeränderten Blicke saugen sich am Anblick des Keepers fest. Ein attraktiver Mann schüttelt alkoholische Getränke, füllt sie anmutig in anspruchsvolle Gefäße dichten wir. Das ist keine Poesie sage ich, das ist Papperlapapp. Das alles ist Ablenkung. Ich gehe mir mal kurz die Nase pudern.

Die erste Tür ist tiefschwarz. Sie führt zu einer zweiten schwarzen Tür. Ein kleiner Flur mit weiteren schwarzen Türen. Ist das jetzt ein Traum oder was. Einer dieser bescheuerten Türträume die zu nichts führen. Ich komme heute nicht nach Hause Anna. Muss in das Labyrinth und ein wenig umherirren. Bis mich die Panik packt. Aber das ist auch nur so ein Spruch. Genau EIN Mal in meinem Leben hatte ich Panik. Das war auf einem Berg. Beim Runterkraxeln und Fastabstürzen. Das hier zwischen den Türen zur Toilette ist keine typische Paniksituation. Reiß mich zusammen. Klingt paradox. Klappt aber.

Okay, ganz langsam drücke ich die Klinke. Spähe und werde geblendet von schwarzweißem Schein. Eigentlich sind es Blumen, schwarze große Blüten auf weißen Grund. Pop. Siebziger Retro. Auf Nuller gemacht. Trotzdem psychedelisch bei näherer Betrachtung. Ganz nah dran mit der Nase rieche ich einen Geruch. Nee, nicht Tapete. Irgendwie süß. Verwesung. Also wirklich.

kamikazeWieviel Zeit ist vergangen. Da sind Spiegel an der Wand. Ich schaue hinein und sehe mich. Das ist gut. Ich bin in diesem Raum und das mit der Zeit ist sowieso relativ. Ich könnte mit meinem Abbild sprechen und ihm erzählen wie durcheinander ich bin. Der Spiegel also die Andere sagt geh da durch. Das nächste Zimmer ist rot. Soll ich jetzt die Farbe deuten oder was. Ist das ein Test. Wo ist die Kamera. Meine Augen scannen die Oberflächen und können nichts sehen. Nur rot. Rot ist meine Lieblingsfarbe.

Obwohl rot meine liebste Farbe ist habe ich keinen roten Raum zu Hause. Eine dunkelrote Coach, ein rubinroter Läufer, ein rosarotes Bett. Rote Klamotten, Keramik und Kissen. Aber kein roter Raum. Hier ist er. Er hat genau die Wirkung die ich vermutete nämlich es ist wie im Innern eines Organs. Nichts für mich. Ich will Aussicht. Weite. Rote Sonne am Horizont reicht. Roter Raum ist Ort des Todes. Das stand gestern in einem Fimintro. Horrorfilm. Go. Genug geschwafelt.

Anna hat Spaß. Um sie herum eine Traube von neuen Leuten. Wie lange war ich fort. Im Glas sprudelt es noch. Zwei Augenzwinkern und ich bin wieder drin.

Exen

exen1Mein Freund, der Ex-Banker, sagt Anna ist nicht sein Fall. Anna sagt vice versa und knufft ihn hart am Arm. Einmal zusammen in einer Bar und so was von einer anderen Auffassung von Spaß. Anna lacht und sagt das war´s dann wohl, wir alle nicken und trinken auf den Abschied. Ich kann auch getrennt und dieses Zusammen war nur ein Versuch.

Dafür findet mein Faible für Exen eine Fortsetzung. Dieser Mann mit dem Auto ist ein Ex-Polizist. Hm. Was bedeutet das in diesem Land. Ich kenne nur das Klischee aus dem Kino. Mein Gehirn kreischt: Projektionsfalle! Ich glaube ich bin schon halb eingeklemmt in meinen eigenen Geschichten. Habe mich aber gewundert warum er so systematisch fragt und es für Interesse gehalten. Ist vielleicht nur professionelle Restroutine. Ein Kriminaler also. Er sagt man bleibt es auch wenn man aufhört. Aha. Was bleibt man denn. Nüchtern. Na prima.

exen2Als ich Anna davon erzähle ahnt sie mein Dilemma. Anders als sie habe ich diesen anerzogenen Anstand am Anfang. Gehe nicht aufs Ganze. Hebe mir meine haltlose Heiterkeit auf für wann es passt. Brenne zwar innen schon lichterloh, aber die anderen merken es nicht. Brauche mich dann nur für mich alleine schämen für so viel Vertrauen in den guten Ausgang. Anna sagt schmink dir den ab, der ist ein Beamter. Mit dem wirst du nicht abheben. Der bleibt immer schön auf dem Boden. Wetten der macht nix Illegales, nicht mal ein Bier zur Belohnung, wenn er noch fahren muss. Was für eine Belohnung. Sie hat Recht.

Also schminke ich ab. Pads gegen Make-up und den Mann von der Polizei mit dem Auto. Mein anarchisch gestimmtes Gehirn stimmt einen Jubel an, es hat keine Lust auf diesen Gehorsam. Gesetz. Eine Gratwanderung in Sachen Andersdenkender. Andershandelnder. Andersfühlender. Wen meint es. Mich.

exen3Mit dem Abstand wird mein Blick scharf. Er schneidet meine Sehnsucht in kleine Scheiben und rollt sie zu den Blättern auf die Straße. Dort verwirbeln sie und zerbröseln zu Matsch. Werden wieder Materie für einen neuen Werdegang. Was ist besser. Ein scharfer Blick oder ein unklarer Werdegang. Entscheide mich für Schärfe. Denke an Messer und sonstige Sachen, die nicht ins Spektrum passen. Mein Gehirn macht es mir leicht. Ist doch klar. Es gibt hier nix Gemeinsames. Darauf einen Grappa, Anna, schmeckst du das feine Aroma von fast verfaulten Trauben. Das Andocken des Alkohols an die grauen Zellen, das Stocken der Synapsen, das Aussetzen des Verstands. Genial.

 

Der goldene Wasserhahn

goldhahn3Die Geschichte ist märchenhaft wie ihr Titel. Verzaubert werde ich schon als ich das Grundstück betrete. Eine parkähnliche Landschaft mit alten Laubbäumen und gläsernen Schmetterlingen, kleinen Glöckchen, die im Wind klingen.

Zwei Löwen bewachen den Eingang des Hauses und reißen ihr schwarzes Maul auf als ich näher trete. Sie sind aus Bronze, keine Gefahr. Die geöffnete Tür gibt den Blick frei auf eine dunkle Halle und hindurch fließt Licht in gebündelten Strahlen. Hinten geht es wieder hinaus auf die Terrasse aus altem Stein und dort will ich hin. Vorbei an Gemälden von Mädchen mit weißer Haut, nur leicht umhüllt von buntem Tuch. Vorbei an der Küche und ihrer Hüterin. Nur kurz treffen sich unsere Blicke und schon bin ich verwirrt. Warum.

Wieder draußen ein Platz im Schatten der Schirme. Ein Teich vor dem See. Schilf. Ihre sanfte Stimme fragt mich was ich wünsche. Blinzle gegen die Sonne die mich nicht blendet. Jasmintee flüstere ich. Sie ist eine Romanfigur. Direkt aus meiner Erinnerung an erregende Momente. Sie muss die Vorlage sein doch ich weiß sie kann nicht die Vorlage sein. Aber sie ist eine Figur. Ein Charakter. Einzigartig. Ausdrucksstark. Sie weiß es denn sie macht eine Show.

Blaugeblümtes Porzellan für den Tee, Orchideenkuchen. Ich schmecke nichts, meine Sinne sind auf eine Stelle gerückt, drängen sich um die Intensität in meinem Innern. Wie heißt dieser Ort. Ist er echt. Egal. Ich lasse los und zu. Endlich. Kann wieder atmen und aufstehen.

goldhahn5Die Wendeltreppe führt zu einem goldenen Wasserhahn. Ich wische einen Wasserfleck weg und schließe mich in diesen Glanz. Aus dem Hahn tropft Musik. Ist das ein Trick. Im Spiegel mein Gesicht. Leuchtende Augen, rosige Haut, lächelnder Mund. Schnell zurück. Gucken was geht.

Zwischen den Stühlen balanciert sie Kristall. Ist jetzt Bedienung, betont träge. Fließende Bewegung auf knirschendem Kies. Weiß. Ich starre. Setze meine Brille auf um nicht umzufallen. Sie merkt es trotzdem. Weicht sensibel meiner Verwirrung aus. Große Hände würden mich stützen bevor mein Schwanken zum Fall wird. Doch so schwach bin ich nicht. Da ist noch das Andere, das Besondere, das mir Kraft gibt. Neugierde. Gier.

Ich habe keine Chance. Nur die Erinnerung nehme ich mit. Sie ist frisch wie ein Hefeteig. Sie gärt und geht und bläht sich auf. Ich nähre mich davon. Ernähre mich mit ihr. Setze sie aufs Neue an. Backe sie heiß und esse sie warm. Sie füllt mich auf. Meine Magenwände schmerzen.

Wie soll ich sie nennen, diese Person. Magier. Fee. Sternenstaub. Mond. Alles außer real. Schon real aber nicht für mich. Kaum gesehen und schon ewig in mir drin. Wahr gewordene Fiktion. Sinn. Wahnsinn.