Nachhinein

Auge blaue Iris gezeichnet

Im Nachhinein sehe ich eine Bürde auf seinen Schultern und einen getrübten Blick. Ein mattes Grau auf seiner Haut. Im Nachhinein merke ich, dass ich sie gesehen habe. Sie geben keinen Anlass zur Sorge. Nicht in diesem Alltag, in dem ich mit ihm auf Distanz bin. In einer Atmosphäre von Achtsamkeit bleibe ich ahnungslos, denn die Sinne konzentrieren sich nicht auf ihn. Wie ich ist er ein Teil des Apparats. Freundlich, hilfsbereit, anders.

Im Nachhinein sehe ich seinen schweren Schritt. Eine Eigenheit, die ihn in den Gängen erkennbar macht. Das Gewicht ist nicht das seiner Gestalt. Mein Gehirn baut Geschichten. Es gibt für mich nichts zu erklären.

Der Andere ist immer unendlich anders als ich selbst. Die Annäherung an ihn wächst über meine Beobachtung. Er ist anwesend und wir verbringen gemeinsam Zeit in einem Raum. Im Raum sind Reden, Gesten und Geduld. Ein Austausch von kurzen Augenblicken. Im Raum sind viele Andere. Alle könnten diese dunklen Gedanken in sich tragen. Sie nehmen sie mit nach Hause und am nächsten Tag bringen sie sie wieder mit. Wenn sie wiederkommen.

Es ist keine spontane Entscheidung, nicht wiederzukommen. Sie baut sich auf. Sie beginnt mit einer Enttäuschung oder einer Entbehrung oder etwas ganz anderem. Sie führt auf einen Weg, der ständig bergab führt. Wie ein Tropfen, der durch winzige Steinritzen sickert. Das Wasser rinnt in kleine Tümpel, tiefer und tiefer. Manchmal quillt es als Quelle wieder ans Licht, manchmal verschwindet es für immer in der Tiefe. Verdampft. Vertrocknet. Verschwindet. Das Hinab ist nur ein Bild. Ein Bild, das leicht zu deuten ist. Vielleicht geht der Weg auch bergauf, immer höher, bis er endet und nur noch Wolken sind und eisige Luft. Auflösung im Nichts ist unten und oben. Dazwischen scheint es nichts zu geben, was hält. Auch ein Nichts. Kaum einer, der über dieses Nichts nicht schon nachgedacht hat. Manche glauben, nach dem Nichts kommt noch etwas. Die Ewigkeit. Ich glaube, die Ewigkeit ist immer, auch jetzt.

Im Nachhinein schenkt mir mein Gedächtnis ein paar Szenen des Zusammenseins. Eine Erinnerung reiht sich an die andere. An den Anderen, den ich nicht weiter kennen werde.

Die Kostümierten

Anna schaut auf mich hinab. Ich bin auf dem Boden und versuche eine weiche Stelle zu finden. Rutsche mit dem Rücken herum ohne den Kopf zu bewegen. Lieg jetzt mal still sagt Anna und breitet ihre Arme aus. Ich leite jetzt die Genesung ein, sagt sie zu irgendwem. Eigentlich ist sonst keiner da. Ich schließe die Augen, weil ich sonst lachen muss aber nicht will. Ich bin schließlich krank und mag es nicht sein. Anna sagt ich mach dich gesund.

kostümiertSpürst du schon was? fragt sie nach fünf Minuten. Ich nicke mit geschlossenem Lächeln, fühle die Wärme, die von Anna ausgeht. Sie atmet und schweigt. Was sie macht sehe ich nicht.

Ich ziehe mich ins Innere zurück und ordne meine Gedanken. Dafür habe ich ein System. Zuerst werden die Aufdringlichen angemessen gewürdigt. Sobald sie an Intensität nachlassen, schiebe ich sie weiter nach hinten. Meistens rücken dann Gedanken nach, die sich selbst nicht so wichtig finden. Sie sind vage und flattern unsicher im Unkonkreten. Mache mir nicht die Mühe sie festzunageln, vielleicht später. Am Ende sind die Kostümierten dran, sie tun so als ob und sind nie was sie vorgeben. Sie dingfest zu machen ist schon schwieriger.

Auf den Clown falle ich immer wieder herein. Obwohl ich seit meiner Kindheit weiß, dass er ein Blender ist, kann ich seiner redseligen Leichtigkeit nicht widerstehen. Der Clown kommt meistens mit dem Narr. Der trägt dieses Hörnerkäppchen mit den Glöckchen dran und lacht die ganze Zeit. Der Clown und der Narr sind die härtesten meiner Gedankennüsse. Kaum zu knacken. Auch heute komme ich nicht dahinter, was sie wollen oder warum es sie überhaupt gibt. Sie scheinen es sich zur Aufgabe gemacht zu haben mich zu amüsieren, auf dieser dritten Ebene macht Spaß aber keinen Sinn. Ich öffne die Augen.

Anna ist weg. Hat sie mich einfach hier liegen lassen? Ohne Abschied? Ich bin hier, ruft sie aus der Küche. Willst du auch ein Glas? Sie steht in der Tür mit zwei Kelchen in der Hand und wippt auf und ab. Ihre Haare sind pink. Kann sie etwas wissen? Von den Kostümierten? Nein. Komm, sage ich und winke. Steh auf, sagt sie, du bist gesund und kannst stehen und trinken. Ich erhebe mich. Fühle mich gut. Genesen. Geheilt. Ganz. Anna sagt, du kannst jetzt das mit der Augenbraue machen, das ist lustig. Ich ziehe meine eine Braue hoch und wir kichern.