Zwei ist der Anfang vom Ende*

Peter Pan grünes Auge blaues Auge

Peter, den ich seit meiner Jugend nicht mehr gesehen habe und wahrscheinlich nie mehr sehen werde, bleibt auf immer jung. In meiner Erinnerung hat er das glatte Gesicht mit den aufmerksamen Augen, eins blau eins grün, die nie eine Sekunde lang still stehen. Wie ein Kolibri schwirrt sein Blick. Vibriert in der Luft. Driftet weiter zu einem neuen Duft. Ein Geruch von Gedanken, die sich in der Bewegung neu ordnen und Muster machen wie Blütenstaub im Wind.

Längst nenne ich ihn Peter Pan, wie den einen, der niemals erwachsen wird. Damals mag ich seinen Namen nicht, weil er hart klingt und rau. Seine Mutter „war eine schöne Frau mit romantischen Gedanken und einem wunderbar spöttischen Mund. Ihre romantischen Gedanken waren wie kleine Schachteln aus dem geheimnisvollen Orient, eine Schachtel nach der anderen, und wie viele man auch entdecken mag, immer steckt noch eine darin.“* Das mit den Gedanken hat er von ihr, winzigen Vögeln gleich auf der Suche nach Nektar. Er trinkt neue Ideen wie seine Mutter Schachteln leert. Eine Familienangelegenheit.

Wir haben uns aus den Augen verloren wie man sich so aus den Augen verliert, wenn man erwachsen wird und das so genannte eigene Leben beginnt. Seit dem Zeitpunkt unserer Trennung sind wir unsterblich. Ich bleibe jung und er bleibt jung. In unserer beider Erinnerungen leben wir ein Leben in Heuwiesen, Birkenhainen und Quellwassern. Dort wo wir lachen und träumen und in andere Rollen schlüpfen. Wo wir Vogelstimmen imitieren, bis sie über unseren Köpfen kreisen. Es ist ein zweites Leben, das nicht endet. Vielleicht endet es, wenn wir sterben oder geht es einfach weiter, denn es war ja auch vorher nicht unseres. Wohin verschwinden die Gedankenschachteln, wenn wir die Gedanken nicht mehr denken? Zurück in den Orient?

Wären wir wieder vereint, wäre das verheerend. Wir würden auf einen Schlag unser zweites Leben verlieren. Ein Leben zu zweit wäre der Anfang vom Ende.

*(Zitate) Peter Pan, James M. Barrie, Hamburg 1988

Oscar One

Die nächste Ebene. Eins höher. Oder tiefer – je nachdem. Tiefer im Sinne von Innen. Höher im Wörtlichen und Übertragenen. Anna sagt ich habe Lust auf den nächsten Level in meinem Leben. Bevor ich fragen kann in welchem Spiel denn. Sie meint es ernst. Es geht um mehr. Um Existenz.

OscarOne1Ist dir langweilig. Nein. Ja. Du weißt schon. Dann schweigt sie. Ich weiß nicht aber ich schweige auch denn das ist die beste Methode Anna zum Sprechen zu bringen. Sauge an meinem Strohhalm. Lasse das Eis im Glas klimpern und höre mit Hundertprozent Aufmerksamkeit wie es knackt. Anna malt ihre Backenzahnreihe aufeinander, ihre Kieferknochen knirschen. Ihr Zahnarzt hat ihr deswegen zu Akupunktur geraten aber sie hat Angst vor den Nadeln. Er will sie so lange nicht behandeln bis sie den Druck rauslässt. Locker wird im Kopf. Wieder denken und schlafen kann ohne das Pressen auf die Gelenke.

Dann sprudelt es aus ihr heraus. Also ich will etwas Neues erleben aber nicht unbedingt nur neu es muss natürlich auch besser sein. Einen qualitativen Sprung will ich machen. In Leichtigkeit leben. Gelassen genießen. Gleichgültig gegenüber dem ewigen Generve. Wer nervt denn. Na alle mehr oder weniger. Sie ist in einer schwierigen Stimmung, eine Silbe zu viel von mir und sie kippt. Es liegt mir nicht hier sensibel zu agieren. Zwar wäge ich ab wie weit ich die Strippe ziehe entscheide mich dann aber gefühlsmäßig auf der sicheren Seite für die Provokation. Wer soll es ihr denn sagen wenn nicht ich. Ich wähle den ich-bezogenen Konjunktiv. An deiner Stelle würde ich machen was der Arzt sagt.

OscarOne2Was hat das denn damit zu tun. Alles. Wahrscheinlich finden eher die anderen dass du nervst. Bis du jetzt auf deren Seite. Nein aber ich könnte mir das vorstellen. Weil du ja schon sehr angespannt wirkst. So tue ich das. Ja das tust du liebe Anna. Man kommt nicht ohne Anstrengung den Abhang hoch. Den Abhang hoch wie klingt das denn, hihi. Du weißt was ich meine. Und du meinst dass Akupunktur das Allheilmittel ist. Nein natürlich nicht, aber sie ist ein Anfang. Am Anfang war die Akupunktur, haha, dass ich nicht lache. Wir können eine Wette abschließen wenn du magst. Ich glaube nämlich du bist feige. Hm lecker Feige.

Das ist eine Sackgasse. Anna hat sich ins Albernstadium hineingelabert und gackert mich an. Keine Konversation mehr möglich. Ich grinse zurück und frage was steht auf der Karte. Heute kein Alkohol, wie wärs mit Oscar One. Mix of fresh black & raspberries, pineapple juice, cranberry juice, passion fruit juice and orange. Den wir für den Kellner halten sagt er ist der Geschäftsführer und er habe den Drink selbst kreiert und weil er nur frische Beeren und keine Konserven enthält was jetzt in dieser Jahreszeit schon teuer sei aber keine Kompromisse nicht wahr und für unsere Gäste nur das Beste schmecke Oscar One wirklich umwerfend. Wir trinken vier Oscar One. So schnell wirft uns nix um.

Stock Rose

ImageIrgendwie vermisst sie ihn. Sie hat ihn verlassen aber nicht vergessen. Hat dieses große Opfer gebracht und ist nicht belohnt worden. Von wem auch. Schicksal, lächerlich. Mittlerweile kommt sie sich feige vor. Schämt sich. Grämt sich. Kann aber nicht zurück. Hat sich den Weg verbaut. Auf dem Niveau einer Telenovela hat sie trotzig die Tür hinter sich zugeschlagen. Ihr Stolz ist ein Teil von ihr. Sticht sie von innen. Alles was er will ist sie. Das weiß sie und zu Beginn ist diese Gewissheit Macht, die Abkehr Triumpf, die Ignoranz Beweis ihrer Tatkraft. Einmal sieht sie ihn von Weitem und den Schmerz in seinem Genick. Ihr Gehirn gibt ihr keine Deckung, sie hat diesen Anblick verdient.

Wenn sie daran denkt warum sie gegangen ist kommt es ihr als das Gegenteil eines Grunds vor. Eher ein Anlass zu bleiben. Eine Chance zu wachsen. Gemeinsam. Er hat ihr Freiheit angeboten, sie hat sie mit Füßen getreten. Jetzt weiß sie nicht wie es ist. Wie sich Freiheit anfühlt. Weiß nur wie er aussieht wenn er frei ist. Wunderbar. Augen wie Sterne, eine Stirn wie Fels. Aufrichtig. Aufrecht. Abgefahren. So was von. Wie sie am Anfang darauf stand. Wie jeder Gedanke eine Berührung war und die Berührung selbst ein heißes Knistern. Sie hat Angst zu verbrennen. Lieber lauwarm leben und das Opfer lieben. Auf keinen Fall direkt in den stumpfen Spiegel gucken. Den Blick abwenden, denn jeder sieht so aus wie er. Am besten gar nicht mehr hinsehen. Sich sicher fühlen in der Versenkung. Freiheit ist eine Farce.