Beschreibe Begierde

Beschreibe Begierde sagt Anna. Begierde oder Begehren frage ich. Egal. Warum brauchst du eine Beschreibung, willst du ein Gefühl identifizieren? Ja komm, stell sie mir an die Wand, ich bin hinter dem Spiegel und werde erkennen, welches das Richtige ist. Bitte.

Xenia Hausner: TOD MÄDCHEN
Xenia Hausner: TOD MÄDCHEN

Scheint ein dringender Fall zu sein. Ich weiß nicht worauf Anna hinauswill. Doch ich spiele mit. Okay, beginne ich tutorial like, also am Anfang steht die Sehnsucht. Links oder rechts fragt Anna verwirrt. Sie kann die Sehnsucht nicht sehen? Links, wie der Anfang eines Satzes, jedenfalls hier bei uns in Mittelerde scherze ich, doch Anna ist nicht zum Spaßen aufgelegt. Es ist wichtig, dass du die Sehnsucht spürst, das Dehnen der Sehnen in deinem Innern. Sie ziehen sich zusammen zu einem Punkt, auf dem die Begierde und das Begehren zusammenkommen. Die Sehnsucht kann so sehr ziehen dass es weh tut. Der Schmerz kann zur Sucht werden. Warum? Weil du dich ihm nicht entziehen kannst. Du musst ihn durchstehen, egal was aus der Sehnsucht wird. Kannst du sie jetzt erkennen?

Anna nickt. Ihr gequälter Ausdruck weicht einem nachdenklichen. Direkt neben der Sehnsucht ist das Begehren erkläre ich im Stil der Kamasutra-Oberlehrerin. Warum weiß ich das eigentlich so gut. Egal. Also das Begehren ist der Sehnsucht sehr ähnlich, bezieht sich aber mehr auf den Körper. Anna unterbricht. Kommen nun die Körpersachen, die will ich nicht wissen. Ich will nur wissen was davor ist, vor dem Körper. Warum? Weil. Anna ist plötzlich in ihrem Ich-bin-ein-trotziges-Mädchen-Stadium. Beantworte doch einfach meine Frage, ich habe dich nicht um Interpretation gebeten. Ich interpretiere nicht, Anna. Es macht keinen Sinn, bei Begehren Körper und Kopf zu trennen.

Ich will aber nicht körperlich begehren, ruft Anna. In einem Café mit lauter Leuten um uns herum ist das ein lustiger Satz. Echt nicht? fragt ein Typ vom Nachbartisch. Anna ignoriert ihn und flüstert: Ich will, dass die Sehnsucht in meinem Kopf bleibt. Das geht nicht raune ich zurück, sie ist kein Hirngespinst, sie klebt an jedem einzelnen verdammten Blutkörperchen und strömt durch deinen Körper, ob du es willst oder nicht. Sie webt sich um deine Organe und kocht sie weich genauso wie deine Gelenke, weiche Knie, weicher Blick, alles weich und rosa, verstehst du?

Anna lehnt sich zurück. Der von nebenan schaut immer noch. Sie lächelt ihn an. Er lächelt zurück. War´s das frage ich.

Oscar One

Die nächste Ebene. Eins höher. Oder tiefer – je nachdem. Tiefer im Sinne von Innen. Höher im Wörtlichen und Übertragenen. Anna sagt ich habe Lust auf den nächsten Level in meinem Leben. Bevor ich fragen kann in welchem Spiel denn. Sie meint es ernst. Es geht um mehr. Um Existenz.

OscarOne1Ist dir langweilig. Nein. Ja. Du weißt schon. Dann schweigt sie. Ich weiß nicht aber ich schweige auch denn das ist die beste Methode Anna zum Sprechen zu bringen. Sauge an meinem Strohhalm. Lasse das Eis im Glas klimpern und höre mit Hundertprozent Aufmerksamkeit wie es knackt. Anna malt ihre Backenzahnreihe aufeinander, ihre Kieferknochen knirschen. Ihr Zahnarzt hat ihr deswegen zu Akupunktur geraten aber sie hat Angst vor den Nadeln. Er will sie so lange nicht behandeln bis sie den Druck rauslässt. Locker wird im Kopf. Wieder denken und schlafen kann ohne das Pressen auf die Gelenke.

Dann sprudelt es aus ihr heraus. Also ich will etwas Neues erleben aber nicht unbedingt nur neu es muss natürlich auch besser sein. Einen qualitativen Sprung will ich machen. In Leichtigkeit leben. Gelassen genießen. Gleichgültig gegenüber dem ewigen Generve. Wer nervt denn. Na alle mehr oder weniger. Sie ist in einer schwierigen Stimmung, eine Silbe zu viel von mir und sie kippt. Es liegt mir nicht hier sensibel zu agieren. Zwar wäge ich ab wie weit ich die Strippe ziehe entscheide mich dann aber gefühlsmäßig auf der sicheren Seite für die Provokation. Wer soll es ihr denn sagen wenn nicht ich. Ich wähle den ich-bezogenen Konjunktiv. An deiner Stelle würde ich machen was der Arzt sagt.

OscarOne2Was hat das denn damit zu tun. Alles. Wahrscheinlich finden eher die anderen dass du nervst. Bis du jetzt auf deren Seite. Nein aber ich könnte mir das vorstellen. Weil du ja schon sehr angespannt wirkst. So tue ich das. Ja das tust du liebe Anna. Man kommt nicht ohne Anstrengung den Abhang hoch. Den Abhang hoch wie klingt das denn, hihi. Du weißt was ich meine. Und du meinst dass Akupunktur das Allheilmittel ist. Nein natürlich nicht, aber sie ist ein Anfang. Am Anfang war die Akupunktur, haha, dass ich nicht lache. Wir können eine Wette abschließen wenn du magst. Ich glaube nämlich du bist feige. Hm lecker Feige.

Das ist eine Sackgasse. Anna hat sich ins Albernstadium hineingelabert und gackert mich an. Keine Konversation mehr möglich. Ich grinse zurück und frage was steht auf der Karte. Heute kein Alkohol, wie wärs mit Oscar One. Mix of fresh black & raspberries, pineapple juice, cranberry juice, passion fruit juice and orange. Den wir für den Kellner halten sagt er ist der Geschäftsführer und er habe den Drink selbst kreiert und weil er nur frische Beeren und keine Konserven enthält was jetzt in dieser Jahreszeit schon teuer sei aber keine Kompromisse nicht wahr und für unsere Gäste nur das Beste schmecke Oscar One wirklich umwerfend. Wir trinken vier Oscar One. So schnell wirft uns nix um.

Exen

exen1Mein Freund, der Ex-Banker, sagt Anna ist nicht sein Fall. Anna sagt vice versa und knufft ihn hart am Arm. Einmal zusammen in einer Bar und so was von einer anderen Auffassung von Spaß. Anna lacht und sagt das war´s dann wohl, wir alle nicken und trinken auf den Abschied. Ich kann auch getrennt und dieses Zusammen war nur ein Versuch.

Dafür findet mein Faible für Exen eine Fortsetzung. Dieser Mann mit dem Auto ist ein Ex-Polizist. Hm. Was bedeutet das in diesem Land. Ich kenne nur das Klischee aus dem Kino. Mein Gehirn kreischt: Projektionsfalle! Ich glaube ich bin schon halb eingeklemmt in meinen eigenen Geschichten. Habe mich aber gewundert warum er so systematisch fragt und es für Interesse gehalten. Ist vielleicht nur professionelle Restroutine. Ein Kriminaler also. Er sagt man bleibt es auch wenn man aufhört. Aha. Was bleibt man denn. Nüchtern. Na prima.

exen2Als ich Anna davon erzähle ahnt sie mein Dilemma. Anders als sie habe ich diesen anerzogenen Anstand am Anfang. Gehe nicht aufs Ganze. Hebe mir meine haltlose Heiterkeit auf für wann es passt. Brenne zwar innen schon lichterloh, aber die anderen merken es nicht. Brauche mich dann nur für mich alleine schämen für so viel Vertrauen in den guten Ausgang. Anna sagt schmink dir den ab, der ist ein Beamter. Mit dem wirst du nicht abheben. Der bleibt immer schön auf dem Boden. Wetten der macht nix Illegales, nicht mal ein Bier zur Belohnung, wenn er noch fahren muss. Was für eine Belohnung. Sie hat Recht.

Also schminke ich ab. Pads gegen Make-up und den Mann von der Polizei mit dem Auto. Mein anarchisch gestimmtes Gehirn stimmt einen Jubel an, es hat keine Lust auf diesen Gehorsam. Gesetz. Eine Gratwanderung in Sachen Andersdenkender. Andershandelnder. Andersfühlender. Wen meint es. Mich.

exen3Mit dem Abstand wird mein Blick scharf. Er schneidet meine Sehnsucht in kleine Scheiben und rollt sie zu den Blättern auf die Straße. Dort verwirbeln sie und zerbröseln zu Matsch. Werden wieder Materie für einen neuen Werdegang. Was ist besser. Ein scharfer Blick oder ein unklarer Werdegang. Entscheide mich für Schärfe. Denke an Messer und sonstige Sachen, die nicht ins Spektrum passen. Mein Gehirn macht es mir leicht. Ist doch klar. Es gibt hier nix Gemeinsames. Darauf einen Grappa, Anna, schmeckst du das feine Aroma von fast verfaulten Trauben. Das Andocken des Alkohols an die grauen Zellen, das Stocken der Synapsen, das Aussetzen des Verstands. Genial.

 

Grüne Grenze

Anna staunt. Das sieht lustig aus bei ihr denn sie reißt theatralisch ihre Augen auf und schnappt nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Völlig übertrieben und wahrscheinlich finde nur ich es witzig. Also ich lache jedenfalls weil ich weiß worum es geht. Es gibt hier tatsächlich eine Grüne Grenze und sie ist unbewacht, offen, freizügig nennt man das glaube ich. Sie liegt zufällig auf unserem Weg von der Schweiz zurück ins Heimatland, obwohl Anna ist Halbitalienerin, daher auch ihre Veranlagung zum Pathos.

grüne grenze

Es ist uns ein Rätsel dass wir hier einfach passieren können. Zweihundert Meter weiter ist ein bewachter Zollposten an einem regulären Übergang. Wir blicken auf unsere Einkaufstüten und auf die Uniformierten, die nicht in unsere Richtung schauen. Dann nehmen wir eine übertrieben gelassene Haltung an und laufen einfach drüber. Niemand interessiert sich dafür. Alles Mögliche könnte in unseren Taschen sein aber keiner will es wissen. Tatsache ist dass überhaupt nix drin ist was wir auch annäherungsweise anmelden müssten weil wir nur ein paar Tüten Nudeln und ein paar Tafeln Schokolade gekauft haben. Aber allein der Gedanke.

Anna sagt dass ihr die Schweiz jetzt noch sympathischer ist. Diese Demonstration von Offenheit ohne Ankündigung. Sie möchte gerne zurück, etwas Unerlaubtes kaufen und dann nochmal über die Grüne Grenze. Was denn frage ich. Es ist Samstagnachmittag und fast alles ist zu. Es muss etwas Kleines sein, eine Uhr oder Medikamente, die bei uns verboten sind. Wir müssen lachen weil unsere Fantasie begrenzter ist als die Grenze selbst. So anständig und unbescholten. Wir sind langweilig sage ich. Ja sagt Anna, total.

Die Sache mit der Grünen Grenze nagt an Anna. Ich frage sie was sie hat. Diese blödste aller Fragen. Aber sie antwortet. Sie sagt lass es uns in der Nacht machen. Was machen? Na ja noch einmal über die Grenze gehen und gucken ob jemand da ist. Ich rolle meine Augen, habe keine Lust. Alleine will sie nicht. Der Weg ist nicht beleuchtet, unheimlich zwischen dem dies- und jenseitigen Parkplatz. Keiner da. Auch jetzt nicht. Alles könnte hier rübergetragen werden. Aber niemand geht oder trägt. Keiner kontrolliert. Anna raunt vielleicht überwachen die elektronisch. Mir reicht es. Komm sage ich, hör auf mit dem Agentengequatsche. Gehen wir lieber was trinken.

Nach dem achten Anisschnaps lallt Anna, haha das war irgendwie aufregend auch wenn es nur in unserem Kopf stattfand. In ihrem Kopf denke ich und bin froh dass wir morgen wieder nach Hause fahren und nur von Grünen Grenzen umgeben sind, die wir gar nicht mehr bemerken und die bei Anna keine Aufregung hervorrufen.

Beerenhunger

Ich sage zu Anna den Regen finde ich nicht schlimm, er lässt die Bäche sprudeln und die Blätter glänzen. 

Anna nickt. Auf der Obstwiese pflücken wir Pflaumen, die sind so reif, dass sie schon von weitem duften. Unter der Glocke aus reifen Früchten hören wir die Tropfen aufschlagen wie kleine Steinchen auf Dachpappe, dumpf. Sie perlen grün auf die Wiese. Tak tak tak.

Die süße Schwere klebt an unseren Fingern, unsere Lippen von honigfarbenem Saft benetzt. Ist das Naturkosmetik fragt Anna vergnügt. Die Wespen summen, der Schimmel scheint sich vor unseren Augen zu feinen Netzkostümen zu verästeln. Weiße Muster auf dunkellila Zwetschgenhaut. Niemand ist hier für die Ernte. Im Frühjahr blühen die Bäume, dann kommen die Bienen und nun hängt das Obst blau bis zum Gras. Keinen kümmert es. Außer uns natürlich und die anderen heimlichen Besucherinnen, von denen wir nichts wissen, aber ihre Spuren auf dem Boden sehen. Sie sind zu anderen Zeiten hier als wir. Mit geblähten Bäuchen machen wir uns auf den Weg, sehen die kleinen wilden Erdbeeren am Ufer und lassen sie stehen.