Schweine

WaldIm Wald begegnen wir einer parfümierte Frau. Ihr Duft weht wie ein Spinnenfaden hinter ihr her, verfängt sich im Gestrüpp und sinkt lautlos aufs Moos. Wir könnten leicht in ihren Sog geraten. Mit unseren feinen Nasen den verstreuten Molekülen folgen. Immer tiefer in den dunklen Wald hinein. Anna sieht mich schweigend an. Ich nicke.

Ab und zu leuchten ihre blondierten Haare zwischen den Bäumen auf, denn die Sonnenstrahlen verfangen sich in ihrem Haar wie ihr Duft im Dickicht. Keine Äste knacken, als wir die Wege verlassen. Längst ist unsere Orientierung an den dicken Stämmen kleben geblieben. Seit dem letzten Sturm liegen sie auf dem Boden, wir steigen darüber, unsere Nägel versinken im Harz. Würziger Baumsaftgeruch drängt sich auf. Wir scheuchen ihn fort. Wollen die Fährte der Frau nicht verlieren. Mühe- und schwerelos schreitet sie. Sieht sich nicht um. Anna hat diesen fixierten Blick. Will ihren Willen.

Was meinst du, wo geht sie hin? Ich zucke mit den Schultern. Bin ja eigentlich gerne im Wald. Laufe auch stundenlang ohne Zeichen an den Bäumen, bis es endlich ruhig ist. Bin durchaus überzeugt von Kräften, die ich nicht verstehen oder ermessen kann. Aber einer parfümierten Frau folgen? Ist das gut?

Anna sagt es ist Abenteuer. Ich habe keine Lust mehr. Nun stehen wir hier und streiten. Wie Elster und Häher. Der Wald kennt das. Man muss nicht schweigen, um sich angemessen zu verhalten. Die Hirsche brüllen, die Vögel kreischen, die Mäuse piepsen und die Schweine machen schnorchelige Geräusche, als würden sie unter Wasser atmen. Überhaupt, die Schweine. Sie sind so rücksichtslos. Stecken ihre Rüssel in die weiche Erde und zertrampeln zarte Triebe mit ihren Hufen. Scheren sich den Teufel um die Ästhetik des Anblicks. Nachts rennen sie kilometerweit auf und ab, suhlen sich im Schlamm und machen Töne, die uns das Blut in den Adern gefrieren ließen, wären wir da. Sind wir aber nicht. Anna sagt Spielverderberin.

Die Frau ist verschwunden. Das Gelände ist hügelig und von Hohlwegen durchzogen. Wollten wir ihr auf den Fersen bleiben müssten wir jetzt hetzen. Hetzjagd. Will ich nicht. Mein Nichtwille ist stärker als Annas Trotz. Was soll sie auch machen? Alleine weiter? Eine Ablenkung wäre gut. Wie vorhin das Parfum, das uns abgelenkt hat.

Da hinten in der Senke glitzert etwas. Ich zupfe Anna am Arm und wir folgen dem Licht.

Fluss im See

Morgens geht sie schwimmen, viertel vor sieben. Sommers wie winters die knarzende Treppe hinunter in Badeschlappen, die Bettwärme noch auf der Haut und der Blick verträumt. Vertrauter Weg zum Wasser, nur einige Schritte vor der Tür fließt der See. Die Strömung sieht sie nicht, aber sie kennt ihr unbeugsames Ziehen, wenn sie in ihren Sog gerät.

Die Russen haben ihre Angeln ausgelegt. Sie fangen Fische mit vielen Gräten die sonst niemand isst. Das Wasser ist klar und kalt. Sie geht an den Russen vorbei und sie schauen nicht. Ihr Bademantel flattert im Wind, heute ist Sturm und er will die Blätter von den Bäumen reißen. Noch nicht denkt sie und geht noch ein Stück am Ufer entlang. Betonierte Schräge. Treppen. Auf eine der Stufen legt sie ihre Sachen, federt dann auf bloßen Füßen stromaufwärts bis die Distanz stimmt und sie sich vorsichtig nach unten tastet. Ihre Besonnenheit ist zur Gewohnheit geworden seit sie hier mal geschlittert ist. Blut und Aufregung, kein Schmerz. Wie lange ist das her.

Rhein_10Enten meckern als sie in den See steigt, sie sagt See, nicht Fluss, obwohl er hier wieder herausfließt aus der Breite. Der Rhein. Ihr Gehirn kennt was kommt und erregt sich nicht beim Eintauchen ihres warmen Körpers, das Herz pumpt, der Kreislauf rennt, alle Funktionen unter Kontrolle. Das hier ist gegen und nicht für einen Herzinfarkt. Deshalb schwimmt sie aber nicht. Sie will das Kribbeln fühlen, die kleinen Blasen aus Luft, die sich von ihr lösen, den Moment der Stille, wenn sie der See aufnimmt.

Nach fünf Zügen spürt sie die Strömung. Sie bemächtigt sich ihres Gewichts und trägt es behutsam fort. Wird langsam schneller und stärker. Sie muss nun Kraft aufwenden um ihr zu entkommen. Nur etwas Wille und Muskeln. Wie jeden Tag. Die Strömung ist fast immer gleich. Die Temperatur ist launischer. Sie schwimmt auf die Treppe zu, wieder frei vom gewaltsamen Griff. Ihr Geist ist jetzt wach. Sie schlüpft in ihren Mantel und geht zurück. Die Russen gucken nicht. Sie denkt an das was heute vor ihr liegt.

Königin-Komplex

eigenheim

Ich kenne eine Frau, die sich rächen will. Rachegefühle gelten als Charakterdefizit. Zumindest hierzulande, wo es für nicht ausgelebten Zorn Therapien gibt. Bezahlt sogar die Krankenkasse. Also ihre nicht, aber die meisten schon. Sie sagt sie braucht keinen Psychologen weil sie weiß wo ihr Wunsch nach Rache verankert ist, auch seit wann. Jetzt lächeln die Psychologen weil sie glauben, das wäre noch lange nicht alles. Stimmt. Sie will nämlich ihr mieses Gefühl gar nicht loswerden. Sie schwimmt darauf wie ein Korken und es trägt sie von Küste zu Küste.

Andere haben damit zu kämpfen, dass sie von ihrer Mutter nicht angenommen, akzeptiert oder angemessen geliebt werden, sie dagegen hat ihre Mutter schon als Kleinkind abgelehnt und musste sie dann noch achtzehn lange Jahre ertragen. Dann ist sie einfach weggegangen. Aus diesem Haus mit der blauen Garage. Hat ihr Fahrrad geschnappt und ist über die Felder in ein neues Leben geradelt. Zu dem Zeitpunkt war sie eine angry young woman und konnte sich easy in eine Peergroup einreihen. Wild war das. Die Rachegefühle kamen erst viel später als sie gemerkt hat, wie konditioniert sie ist und dass sie einen böse-Königinnen-Komplex hat. So nennt sie das. Direkt abgeleitet von der Herrscherin im schwer verdienten Eigenheim.

Es gibt in ihrem Leben immer wieder diese Frauen, die glauben, sie irgendwie über die Klinge springen lassen zu müssen, um sich dann an ihrem Blut zu ergötzen. Es sind Frauen mit Macht. Mütter zum Beispiel. Freundinnen. Kolleginnen. Was dich nicht tötet macht dich stark. Das ist nicht gerade ein Spruch aus unserer mitteleuropäischen Alltagswelt. Die Wahrscheinlichkeit getötet zu werden ist auf der Autobahn am größten. Kein großes Abenteuer. Ihre Mutter lebt seit vielen Jahren nicht mehr und die Rache richtet sich eher gegen das System, das alles zugelassen hat. Es hat sogar zugelassen, dass sie selbst zur bösen Königin geworden ist. Ab und zu. Sie weiß ja wie es geht. Das bringt keine Linderung. Jetzt ziehen die Psychologen eine Augenbraue hoch. Da muss man doch was machen. Sie pfeift darauf.

Neulich hat sie mir gesagt, dass jetzt, wo sie keine der angry young women mehr ist, einfach wegen des Alters, sei es schwieriger, sich auszutoben. Lust zum Austoben hat sie genau wie früher, aber auch das lässt das System nicht zu. Im Geheimen muss das geschehen. Sonst gilt sie als absonderlich. Zu guter Letzt muss sie lachen. Aus vollem Hals. LOL. Es geht ihr gut mit dieser Rache. Mit diesem wütenden Tier in ihr. Sie hebt stolz ihr Kinn. Es ist ihres, ganz allein. Besitzerin. Königin.

 

Lecker Blut

Anna und ich sind wie schon berichtet passionierte Cocktail Verkösterinnen. Jetzt wo wir uns wieder sehen können wir auch wieder regelmäßig los neue Drinks suchen. Nein wir sind nicht süchtig nach Alkohol nur nach dem Ambiente, dem Drumherum, der Verbindung von Gerüchen mit Geschmack, vom Kitzel der Verzierung an unseren Lippen. Wir versuchen dann, die richtigen Worte zu finden, präzise auszudrücken wie genau sie schmecken, wie süß, bitter, saftig, salzig, fad, rich, fett, pelzig, klebrig. Auch das Aussehen prüfen wir wie zwei amtliche Testerinnen, kritisch zusammengekniffene Augen, Nuancen in der Farbbestimmung, das Holz der Bar, das Licht in den Flaschen, die Wahl der Gläser, tausend Kleinigkeiten. Manchmal streiten wir uns deswegen, reden uns in Rage ob der Unterschiede in der Wahrnehmung. Es gibt diese Wahrheit nicht, es gibt sie nie.

druckDie Diskussionen sind hitzig: Wir sind Drama Queens bis in die Haarspitzen. Leidenschaftliche Auseinandersetzungen, hart geworfene Sofakissen, blitzende Augen und aggressive Körpersprache sind unser Ding. Das ist nicht aufgesetzt, das kommt aus unserem Innern. Von ganz tief uns so spontan, so dass wir vermuten, es war von Anfang an da. Das Drama Gen. Geerbt von einer früheren Generation grenzverletzender Großgrundbesitzer. Anna ist Halbitalienerin und hat die Rechtfertigung für ihre Performance quasi schon im Pass stehen. Bei mir ist das schwieriger, obwohl es in einem Seitenast meines Stammbaums südamerikanische Sojabohnenbauern gibt. Nichts worauf ich stolz bin, aber eine Erklärung ist es allemal. Mein Gehirn will den Grund wissen. Warum es manchmal wie verrückt Adrenalin und die anderen Dramahormone produzieren bzw. die Produktion veranlassen muss.

Vom Mögen dramatischer Momente kann keine Rede sein, wir lieben sie. Wo keine Welle in Sicht ist machen wir eine. Wir brauchen diese Brandung. Zum Surfen. Wir wollen Wirbel und Strudel. Auf den Sand geworfen werden. Blessuren davontragen. Dann die Wunden lecken. Blut schmecken. Dass das nicht jedermanns Ding ist, ist ja klar. Man muss es schon gut kennen und es liebevoll Temperament nennen. Denn in diesem Moment meinen wir was wir sagen, kleine Explosionen in der Luft, deren Rauchwolken schnell wieder verwehen. Dann ist wieder gut, alles gesagt, wir gehen kurz raus die Nase pudern und das war´s.

 

It-brain

Imageuni oder no sex? Eine gute Entscheidung, dem Gehirn kein männliches oder weibliches grammatikalisches Geschlecht zu geben (wer auch immer sie getroffen hat). Es bleibt es. Genauso das Herz und das Blut. Alle anderen lebenswichtigen Organe sind weiblich oder männlich, jedenfalls in deutsch. Ein wenig ärgert sich mein Gehirn schon darüber, denn es ist eine Diva und fast ausschließlich mit sich selbst und seiner Selbstdarstellung beschäftigt ohne irgendwie mit seiner geschlechtlichen Identität in Konflikt zu geraten. Es denkt wahrscheinlich genauso wie ich von sich selbst in der Ich-Form und kümmert sich nicht um Zuschreibungen von außen. Wenn es mich provozieren will füttert es mich mit stereotypen Stammtischsprüchen. Vielleicht sind das auch nur Tests, ob ich an meinen Mustervorlagen festhalte oder ob mal wieder ein intellektuelles Update fällig ist. Ich glaube es liebt diese Ausflüge in sein chaotisches Archiv und dort jedes Mal etwas zu verändern, so dass nichts ist wie es vorher war.