Schon als kleiner Wollknäuel, kaum entwöhnt, streunt die Katze durch den Garten und schnappt unbeholfen nach wogenden Pflanzenkelchen. Sie ist weiß wie die Glöckchen. Schneeweiß. Blütenweiß. Beim Bauern auf dem Hof von einer braunen Katze geboren. Die anderen Babys sind getigert. Sie ist der Liebling des Bauern. Er nennt sie Blüte. Auf dem Hof hat sie keine Chance. Der Bauer wünscht ihr ein langes Leben. Unser Garten ist von einer Mauer umgeben. Solange sie klein ist, kann Blüte nicht weg. Das kleine Paradies aus Tausenden von Blumen ist ihr Zuhause. Später lernt sie alle Tricks und klettert wohin sie will. Unsere Gesichter kleben am Fenster bis es dunkel wird. Das Restleuchten des Fells auf dem Rasen. Ein wildes Glimmen in den Augen. Sie will nicht ins Haus. Blüte schläft auf einer Matte aus Bast. Wir haben ihr Betten aus Samt, Seide und Batist angeboten. Blüte entscheidet sich für die Fußmatte. Schärft ihre Krallen, leckt ihr Fell, reckt ihre Glieder, jagt ihre Schwanzspitze, rollt sich und schlummert ein. Wir streichen über ihren weichen Rücken. Im Traum zuckt sie. Vielleicht träumt sie von Gänseblümchen. Oder von den fallenden Kirschblüten, die sie stundenlang versucht hat zu fangen. Katzenmädchenträume. Was macht Blüte wenn niemand guckt? Wälzt sich in den Pfützen? Gräbt nach Mäusen? Lauert auf Vögel? Also das, was Katzen so normalerweise machen? Gestern war sie schmutzig. Das Fell verfilzt. Die Barthaare voller Spinnweben und die Pfoten angeraut. Ein Glitzern in den Augen. Zufriedenes Schnurren. Was, wenn sie keine süße Schmusekatze sein will? Blüte doof findet? Unsere Zuschreibungen so was von satt hat? Weiß sie überhaupt, dass sie weiß ist? Kack Katzenklischee. Sie kotzt in unsere Küche. Würgt flusige Bälle hoch. Insektenbeine, Pflanzenteile, Blütenmatsch. Blüte ist auf Antikurs. Wir sind die wohlwollenden Interpretationskatzenhalterinnen und wischen den Dreck weg. Das ist nur eine Phase. Auf die Würgebällchen folgen tote Tiere. Hummeln, Käfer, Vögel. Blutknäuel auf unserem Bett. Blüte schnurrt. Wir lieben sie.
Tag: Interpretation
Beschreibe Begierde
Beschreibe Begierde sagt Anna. Begierde oder Begehren frage ich. Egal. Warum brauchst du eine Beschreibung, willst du ein Gefühl identifizieren? Ja komm, stell sie mir an die Wand, ich bin hinter dem Spiegel und werde erkennen, welches das Richtige ist. Bitte.

Scheint ein dringender Fall zu sein. Ich weiß nicht worauf Anna hinauswill. Doch ich spiele mit. Okay, beginne ich tutorial like, also am Anfang steht die Sehnsucht. Links oder rechts fragt Anna verwirrt. Sie kann die Sehnsucht nicht sehen? Links, wie der Anfang eines Satzes, jedenfalls hier bei uns in Mittelerde scherze ich, doch Anna ist nicht zum Spaßen aufgelegt. Es ist wichtig, dass du die Sehnsucht spürst, das Dehnen der Sehnen in deinem Innern. Sie ziehen sich zusammen zu einem Punkt, auf dem die Begierde und das Begehren zusammenkommen. Die Sehnsucht kann so sehr ziehen dass es weh tut. Der Schmerz kann zur Sucht werden. Warum? Weil du dich ihm nicht entziehen kannst. Du musst ihn durchstehen, egal was aus der Sehnsucht wird. Kannst du sie jetzt erkennen?
Anna nickt. Ihr gequälter Ausdruck weicht einem nachdenklichen. Direkt neben der Sehnsucht ist das Begehren erkläre ich im Stil der Kamasutra-Oberlehrerin. Warum weiß ich das eigentlich so gut. Egal. Also das Begehren ist der Sehnsucht sehr ähnlich, bezieht sich aber mehr auf den Körper. Anna unterbricht. Kommen nun die Körpersachen, die will ich nicht wissen. Ich will nur wissen was davor ist, vor dem Körper. Warum? Weil. Anna ist plötzlich in ihrem Ich-bin-ein-trotziges-Mädchen-Stadium. Beantworte doch einfach meine Frage, ich habe dich nicht um Interpretation gebeten. Ich interpretiere nicht, Anna. Es macht keinen Sinn, bei Begehren Körper und Kopf zu trennen.
Ich will aber nicht körperlich begehren, ruft Anna. In einem Café mit lauter Leuten um uns herum ist das ein lustiger Satz. Echt nicht? fragt ein Typ vom Nachbartisch. Anna ignoriert ihn und flüstert: Ich will, dass die Sehnsucht in meinem Kopf bleibt. Das geht nicht raune ich zurück, sie ist kein Hirngespinst, sie klebt an jedem einzelnen verdammten Blutkörperchen und strömt durch deinen Körper, ob du es willst oder nicht. Sie webt sich um deine Organe und kocht sie weich genauso wie deine Gelenke, weiche Knie, weicher Blick, alles weich und rosa, verstehst du?
Anna lehnt sich zurück. Der von nebenan schaut immer noch. Sie lächelt ihn an. Er lächelt zurück. War´s das frage ich.
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