Kiosk

KioskAn diesem Kiosk kann man nix kaufen. Es ist nur eine Schrift auf einem Haus. Graffity? Lenke meine Schritte zur besprühten Wand und suche einen Eingang. Lasse meine Finger über den Verputz gleiten. Vielleicht gibt es eine versteckte Tür. Während mein Gehirn schon mental abwinkt, will ich nicht wahrhaben, dass dies eine Irreführung ist. Sprühe Kiosk auf eine Wand und gehe Zigaretten kaufen. Komme nicht zurück. Bleibe in der Welt in des Virtuellen. Wer gibt mir diese affirmativen Anweisungen? Kiosk ist ein Geniestreich.

Seit ich Kafka und Breton gelesen, später Matrix gesehen habe ist der Konjunktiv für eine Parallelwelt relativ. Mag sie Kiosk heißen. Hier kann ich einfach alles kaufen. Was will ich denn? Ich will alles. Alles was es gibt. Süßigkeiten, Menschen, Abenteuer, Berge, Gelegenheiten, Klamotten, Diamanten, ein Flug zum Mond, ein Rendezvous mit Michael Fassbender, Klarheit über den Google Algorithmus, Weltfrieden. Was kostet der? Die Stimme aus dem Off sagt, entscheide selbst. Weil Einheitspreise Schwachsinn sind und hier im Kiosk soll kein Schwachsinn sein. Auch keine Schnäppchen. Alles hat seinen Preis.

Wichtig ist noch: dieser Kiosk steht in einem Dorf an der Sieg. Die Sieg ist ein Fluss, keine Errungenschaft. Tritt oft über ihre Ufer und ist als Schwemmlandschaft sehr attraktiv. Wild. Das Unterbewusste vermutet in diesem Ort kein Ding wie diesen Kiosk und kann es deshalb nicht so schnell bagatellisieren. Es fährt sozusagen voll an die Wand. Ein passendes Bild für ein Tal entlang des Gewässers, in dem unzählige Kerzen am Straßenrand brennen, um der Toten zu gedenken, die hier ihr Leben ließen. Wie aus einer zu schnell zirkulierenden Zentrifuge werden sie an die Bäume geschmettert und sterben. Was mich auf den Gedanken bringt, dass hier ein Trauernder sein sprühendes Unwesen treibt. Tränenden Auges sprüht er Gedenken. Nennt es hier Kiosk. Zieht Aufmerksamkeit. Damit alle glauben hier gibt es was.

Ich fahre in die umliegenden Dörfer und finde weitere: Waschsalon, Bar, Parkhaus, Imbiss, Kita, Kino und Blumen.

Der goldene Wasserhahn

goldhahn3Die Geschichte ist märchenhaft wie ihr Titel. Verzaubert werde ich schon als ich das Grundstück betrete. Eine parkähnliche Landschaft mit alten Laubbäumen und gläsernen Schmetterlingen, kleinen Glöckchen, die im Wind klingen.

Zwei Löwen bewachen den Eingang des Hauses und reißen ihr schwarzes Maul auf als ich näher trete. Sie sind aus Bronze, keine Gefahr. Die geöffnete Tür gibt den Blick frei auf eine dunkle Halle und hindurch fließt Licht in gebündelten Strahlen. Hinten geht es wieder hinaus auf die Terrasse aus altem Stein und dort will ich hin. Vorbei an Gemälden von Mädchen mit weißer Haut, nur leicht umhüllt von buntem Tuch. Vorbei an der Küche und ihrer Hüterin. Nur kurz treffen sich unsere Blicke und schon bin ich verwirrt. Warum.

Wieder draußen ein Platz im Schatten der Schirme. Ein Teich vor dem See. Schilf. Ihre sanfte Stimme fragt mich was ich wünsche. Blinzle gegen die Sonne die mich nicht blendet. Jasmintee flüstere ich. Sie ist eine Romanfigur. Direkt aus meiner Erinnerung an erregende Momente. Sie muss die Vorlage sein doch ich weiß sie kann nicht die Vorlage sein. Aber sie ist eine Figur. Ein Charakter. Einzigartig. Ausdrucksstark. Sie weiß es denn sie macht eine Show.

Blaugeblümtes Porzellan für den Tee, Orchideenkuchen. Ich schmecke nichts, meine Sinne sind auf eine Stelle gerückt, drängen sich um die Intensität in meinem Innern. Wie heißt dieser Ort. Ist er echt. Egal. Ich lasse los und zu. Endlich. Kann wieder atmen und aufstehen.

goldhahn5Die Wendeltreppe führt zu einem goldenen Wasserhahn. Ich wische einen Wasserfleck weg und schließe mich in diesen Glanz. Aus dem Hahn tropft Musik. Ist das ein Trick. Im Spiegel mein Gesicht. Leuchtende Augen, rosige Haut, lächelnder Mund. Schnell zurück. Gucken was geht.

Zwischen den Stühlen balanciert sie Kristall. Ist jetzt Bedienung, betont träge. Fließende Bewegung auf knirschendem Kies. Weiß. Ich starre. Setze meine Brille auf um nicht umzufallen. Sie merkt es trotzdem. Weicht sensibel meiner Verwirrung aus. Große Hände würden mich stützen bevor mein Schwanken zum Fall wird. Doch so schwach bin ich nicht. Da ist noch das Andere, das Besondere, das mir Kraft gibt. Neugierde. Gier.

Ich habe keine Chance. Nur die Erinnerung nehme ich mit. Sie ist frisch wie ein Hefeteig. Sie gärt und geht und bläht sich auf. Ich nähre mich davon. Ernähre mich mit ihr. Setze sie aufs Neue an. Backe sie heiß und esse sie warm. Sie füllt mich auf. Meine Magenwände schmerzen.

Wie soll ich sie nennen, diese Person. Magier. Fee. Sternenstaub. Mond. Alles außer real. Schon real aber nicht für mich. Kaum gesehen und schon ewig in mir drin. Wahr gewordene Fiktion. Sinn. Wahnsinn.

Es steht in den Sternen

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In den Sternen steht nichts. Trotzdem lösen sie bei mir pure Begeisterung aus. Bin ich vor einigen Monaten noch wegen Merkur ausgeflippt, den ich für den Bruchteil eines Moments am Abendhimmel flimmern sah, so sind es jetzt gleich zwei: Jupiter und Venus.

Ich weiß, es sind Planeten unseres eigenen Sonnensystems, keine Sterne. Aber Venus wird ja  im Allgemeinen als Abend- oder Morgenstern bezeichnet, je nachdem, wo sie gerade steht bzw. wo wir gerade stehen. Also stehen tun wir alle nicht. Wir bewegen uns mit dieser Affengeschwindigkeit erst einmal um unsere eigene Achse, dann rasen wir mit zigtausend km/h um die Sonne und driften mit dem Universum, das sich schneller als das Licht ausdehnt, unbemerkt mit. Drei Geschwindigkeitsebenen, das ist kaum vorstellbar. Ich gehe jetzt von der physikalischen Betrachtung weg, das bringt ja nichts, vor allem nix in Sachen Romantik, wo ich eigentlich hin will.

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Seit einer Weile blinken Venus und Jupiter am östlichen Himmel kurz bevor die Morgendämmerung anbricht. Und heute Morgen waren sie so nah wie sie nur alle 15 Jahre sind – und: ich habe sie gesehen!! Als hätte mich ein silberner Strahl aus der Wärme meiner Schlafstatt gezogen, stehe ich zitternd vor Kälte und glücklich wie ein Kind auf meiner Aussichtsterrasse. Mein Schlafgefährte folgt mir schüchtern und legt mir eine Decke um die Schultern, mit den Sternen kennt er sich nicht aus. Ich zeige und flüstere. Ich montiere das Fernglas auf das Stativ. Ich hole tief Luft, denn ich weiß es wird mir die Sprache verschlagen. Da sind sie: Jupiter riesengroß mit seinen vier größten Monden als winzige Lichtpunkte, daneben Venus in leuchtender Pracht. Sind sie nicht wundervoll.

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Ich habe mir schon oft überlegt, warum ich den Blick nicht vom Himmel wenden kann, wenn die Sterne leuchten, so ganz erschließt sich mir das nicht. Eine Nacht gemeinsam unter freiem Himmel ist das Größte für mich. Es fühlt sich an als wäre ich selbst eine von denen die da durch den Raum schweben. Warum also wissen wollen wieso. Es wäre genauso wenig wichtig, wie die Größen der Geschwindigkeit die ich mir nicht merken kann, Datenkram halt. Für die Gefühle völlig irrelevant.

(Auf den Fotos sind nur Wolken. Für Aufnahmen von Venus und Jupiter habe ich nicht das geeignete Equipment, daher hier noch ein kleines 6 sec-VineVideo vom Lick Observatory)

Entdeckung II

ImageGeschichten sind im Nachhinein oft ganz anders. Es ist ja jetzt (endlich) klar, dass nicht Kolumbus Amerika entdeckt hat, sondern wer? Die Wikinger. Werden alle Straßen, Plätze und Universitäten umbenannt? Nein. Wer war als erstes und einziges auf dem Mond? Die Besten, die Größten, die Lautesten. Wir sind so gutgläubig. Glauben denen die sagen sie haben Recht oder glauben denen die wir lieben. Was haben uns unsere Eltern alles erzählt. Das Blaue vom Himmel. Und unsere Geliebten. In der Phase der rosa Wolken. Das angenehme Schweben im Halbwissen bis wir auf die Erde stürzen. Woher sollen wir auch wissen was wahr ist? Wir können nur glauben.

Ich zum Beispiel glaube unerschütterlich an das Gute, auch wenn ich mit dieser vorgelagerten Naivität öfters auf die Nase falle. Mit das Gute meine ich das was mir gut tut, haha, also richtig gut. Wie ein Spürhund am Gepäck auf dem Flughafen nach Drogen schnüffelt vertraue ich meinem Riecher. Ich bin immer in Bewegung. Das Dope kommt ja auch nicht zum Hund, er muss es schon finden. Habe ich das Gute einmal entdeckt ist es das Glück auf Erden. Unterschiedlich lang aber immer ein Erlebnis, das im Nachhinein ruhig anders erzählt werden kann. Der Augenblick zählt. Für den Hund der Knochen.

 

Flugversuche

Mein neues Sportgerät ist ein Trampolin. Aus einer spontanen Laune heraus kaufe ich es meinem Nachbarn ab und hüpfe darauf herum. Zehn Minuten kontinuierliches Springen kommen mir vor wie eine Ewigkeit. Vielleicht auch weil die Sprungfedern so quietschen, da müsste mal Öl zwischen. Wenn ich beim Hüpfen die Arme auf- und abschwinge, komme ich mir vor wie ein junger Vogel, der im Nest erste Flugversuche macht. Ich spüre tatsächlich so etwas wie einen Auftrieb, ganz kurz, nur Sekundenbruchteile, aber das macht so Lust aufs Abheben wie es wohl nur Vögel fühlen. Aus welcher Entwicklungsstufe kommt dieser Spaß auf einer elastischen Unterlage zu hüpfen? Wahrscheinlich ist er gar nicht an mein irdisches Dasein geknüpft, sondern ein Relikt aus der Schwerelosigkeit, als ich als munteres Teilchen vom Mars oder Mond unterwegs war und nur zurzeit in diesem Körper stecke, was sich in absehbarer Zeit auch wieder ändern wird.