De_Mut

Krone WebseiteIn meinem Traum begegne ich einem König auf der Eisfläche des Novemberwassers. Das Wasser gefriert trotz der warmen Erderwärmungstemperaturen. Der König ist ein Erdentsprossener, ein sagenhafter König, der nicht weiß, dass er ein König ist. Auf seinem Haupt trägt er eine Alge, die nicht von dieser Welt ist. Die Alge sieht aus wie eine Krone, gezackt, von goldener Farbe wie die echten, aber sie ist nur eine zufällige Alge. Eine zufällige und unbewusste Alge, ein atlantisches Lebewesen.

Auf der Eisfläche gefriert mein Mut. Ich will den König ansprechen. In seine klaren Augen blicken. Doch mein Blick haftet auf dem Boden. So schwer die Lider. Schwer wie tausend Gewichte, ja wie die ganze Welt. Dann fällt mir ein, dass ich träume und schlafe und dass die Lider dann zu sind. Dass der König ein Traum ist. Im Traum sagt der König, öffne deine Augen.

Du brauchst keinen Mut, sondern Demut. Ich krame in meinem Innern nach der Demut. Werde hektisch. Hektik erzeugt Wärme und das ist nicht gut auf dem Eis. Also langsam. Da ist sie ja. Ich finde die etwas verstaubte Demut in meiner Dekommode. Wird Zeit, dass sie wieder zum Vorschein kommt, sie ist etwas verknittert. Schon als ich sie berühre fängt sie an zu wirken. Sie fließt wie kalter Gin Tonic in meinen Bauch. Ich spüre ihre Spur vom Mund über den Rachen hinein in die Röhre und hinunter in die tieferen demütigen Sphären.

Prost Poseidon. Der Trinkspruch kommt vom König. Er hält ein beschlagenes Glas in der Hand und prostet mir zu. Ich soll mit einem König trinken? Die aktivierte Demut flüstert, mach` doch, einer schadet nix. Nach dem Drink sind wir Gleichgesinnte. Er sagt er sei kein König. Das sind nur Zuschreibungen wegen der Alge auf seinem Kopf. Heiterkeit. Ich werfe meinen Kopf zurück und lasse sie auf und abspringen ganz nach Art der Heiterkeit.

Der König lacht mit. Er ist kein König, erinnert mich mein Gehirn. Was ist er dann? frage ich zurück. Warum fragst du ihn nicht? fragt mein Gehirn. Der Drink gibt mir Mut. Aber ich halte inne. So schnell ist die Demut wieder Mut. Ich möchte eine Weile bei der Demut bleiben. Ihr eine Chance geben. Das Leben mit ihr ausprobieren. Also spreche ich den König, der keiner ist, nicht an. Ich proste ihm zu und trinke mit ihm, aber ich spreche ihn nicht auf sein Königsein an. Ist ja auch gar nicht wichtig. Wichtig ist, dass er hier auf dem Eis ist. Mit mir. Alles andere ist unwichtig. Ich genieße den Moment. Auf dem Eis. Im Traum.

Falllinie

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Mit ihm durch den Wald zu gehen heißt die Wege verlassen. Den weichen Boden bergauf steigen, ausrutschen, den schweren Duft der Erde zu atmen. Wir reden nicht, verständigen uns ohne Worte. Einmal in Richtung Hang nicken heißt: Dort hoch, aber direkt, keine Umwege. Auf gerader Linie zum Aussichtspunkt. Im Dickicht zeichnen sich Spuren ab, von Tieren oder von anderen, die so sind wie wir. Dieses tiefe Lächeln in seinen Augen, diese Abenteuerlust, die Verwegenheit. Wie ein Spiegel.

Keuchend klettern wir die Falllinie hoch, Klumpen von Erdkrumen kullern nach unten. Unsere Gesichter durchtrennen unsichtbar gespannte Spinnfäden, wir wischen sie weg. Oben hoffen wir auf eine Belohnung – einen grandiosen Blick, eine Einsamkeit für unsere Gefühle. Für die Umarmung. Der Wind kühlt die verkrampften Muskeln, es raschelt im Laub. Ein Ast fällt herab und erschreckt uns, kurze Panik in den Augen. Der hätte dich treffen können, nur eine Minute früher. Hat er aber nicht. Er lächelt. Keine Angst, mir passiert nichts. Denke an den Schrank. Abends knackt er. Du erschrickst jedes Mal. Adrenalin fließt. Ein Gespenst? Ja aber ein liebes. Das zwinkert uns zu und knackt dann weiter im alten Holz, wie um uns daran zu erinnern es nicht zu vergessen. Auf dem Rückweg halten wir uns an die Markierungen. Zu müde für Mut. Zu träge für Tatkraft. Den Zeichen folgen, die nach Hause führen. Mehr nicht.

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