Das Tor ist zu

Tor zuWir haben die Glocke nicht gehört, die alle Besucherinnen zum Ausgang klingelt. Stehen jetzt vor dem Schmiedeeisentor und es ist verschlossen. Draußen gehen gut gelaunte Leute vorbei, sie scheinen uns nicht wahrzunehmen. Ist die Tür zum Garten zu, wird der Garten zu einer Galaxie fernab. Kein unmittelbarer Kontakt zur Welt in/auf der wir leben. Auch nach innen sind die Straßengeräusche gedämpft wie aus großer Entfernung. Das Gitter lässt nix durch. Auch uns nicht.

Wir sehen uns an und finden das, was gerade abgeht gar nicht so schlimm. Eine unerwartete Aufregung, ein ungeplantes Abenteuer, ein verlängerter Ausflug. Auch das Nachrichtennetz liegt lahm. Mit unseren Mobiltelefonen in der Hand sehen wir lächerlich aus. Komplizierte technische Kommunikationshilfsmittel, die hier im Garten anmuten wie kleine versteinerte Rindenstücke der Schwarzkiefer, die ihrem Namen zum Trotz silbern in der Abendsonne glänzt.

Jemand lacht. Über uns? Das wäre angemessen. Ist doch noch einer hier, der uns wegscheucht? Ein Gärtner, der sein Gelände schützt und die empfindlichen Pflanzengesellschaften. Eigentlich wollen wir nicht raus und rennen in den Schatten der Redwoods. Wir schmiegen uns an die ungewöhnlich dicke, sehr weiche, rotbraune, faserige Borke. Fühlt sich an wie ein Fell. Warm. Ihre dicken Äste reichen bis zum Boden. Dies könnte unser Schlafplatz sein. Später.

Der da lacht ist ein Frosch. Früher oder später ein ganzes Konzert und aufgeregte Wellen in den Tümpeln. Wir sind jetzt garantiert allein. Was wir in der Sonne neugierig betrachten beobachtet im Dämmer uns. Sie sind viele, viel mehr als wir zwei. Unser Pflanzenwissen reicht aus, die Panik in Schach zu halten, denn sie sind stationär, zumindest ziemlich. Romantisch ist das nicht. Wie nicht geladene Gäste in ungebetener Garderobe, argwöhnisch beäugt. Es bilden sich Risse in unserem Selbstbewusstsein. Wir sind Menschen. Die sind Pflanzen und Tiere und Nacht.

Sekunden werden Stunden. Eine Ewigkeit unter dem Dach des Mammutbaums. Er ist der sanftmütige Nachbar der Redwoods und nimmt uns auf in seine stachligen Arme. Wir sind jetzt dankbar und demütig. Wickeln uns in unsere Jacken und atmen leise. Sehnen uns nach unseren Decken und den Daunen darin. Die Nacht ist warm und windig. Rauschen die Wipfel, raschelt das Schilf, Quaken die Frösche bis zur Erschöpfung. Fliegt ein großer Vogel. Seine Beute sind wir nicht. Wir schlafen jetzt. In unsere Träume krabbeln rote Ameisen mit giftiger Säure, Eichhörnchen kratzen unsere Haut, Schlangen lecken an den lackierten Nägeln und schlängeln wieder davon. Das Holz knackt, das Gras knistert, das Wasser gluckert. Die Sterne ziehen Streifen am Himmel.

Wir träumen für immer in diesem Garten zu bleiben. Sein Gewimmel und seine Geräusche wie selbstverständlich zu nehmen. Inmitten zu sein mit Regen für den Durst, Würmer für den Hunger und Wärme für das Herz. Selbst zu einer seltsamen Pflanze zu werden, die einer Gesellschaft angehört. Einer Familie. Mit Wurzeln und allem drum und dran.

Wir schlafen und das Tor ist zu.

Dilemma bzw. die Lämmer

Ich wohne zwischen dem Ufer des Flusses und dem Fuße des Berges. In dieser schmalen Zone. Der Boden steigt zuerst leicht an, dann wird er ein steiler Hang. Gerade stehen ist nicht vorgesehen. Auf der Wiese mit den Streuobstbäumen weiden Schafe trächtig mit Lämmern. Sie gucken blöd und blöken.Schaf8Schafe denken immer ich wolle ihnen was. Weit gefehlt. Wegen denen komme ich doch her. Das kapieren die nicht. Nur weil ich anders aussehe akzeptieren sie mich nicht. Oder sie sind wirklich klug und denken an das was Albert Einstein gesagt hat: Willst du ein ordentliches Mitglied der Schafherde sein, musst du vor allem eins sein: Ein Schaf. Okay, ich bin kein Schaf. Ich fühle mich nur verwandt. Das reicht aber nicht. Verdrängt von einer Mauer aus Misstrauen gehe ich zurück zum Fluss.

Am anderen Ufer steht Anna und winkt. Sie hüpft auf der Stelle. Ihr roter Mantel sendet rote Signale. An ihrem Hüpfen erkenne ich sie. Die Schiffe kümmert das nicht, mich schon. Würde sie rufen könnte ich nichts hören. Das Wasser ist still doch die Strömung dröhnt. Nonverbal können wir hier nicht kommunizieren. Das Netz geht nicht. Niemand kann Nachrichten senden. Wirklich. Seit Wochen schon. Annas Arm macht ausladende Andeutungen in Richtung Fähre. Heißt das sie setzt über oder soll ich? Würden wir weiter warten stünden wir noch eine Weile. Die Beherzte bin ich. Schon immer gewesen. Weil Stillstand nicht mein Ding ist. Bewegung ist meine Berufung. Das klingt gut, ist es aber nicht immer. Manchmal schieße ich am Ziel vorbei. Zuviel Fahrt weil ich bergab renne. Allein. Kurz vor dem Ufer bremse ich ab.

Auf dem Schiff schlottern mir die Knie. Der Wind ist kalt und stark. Anna wird größer und das Rot ihres Mantels reicht für uns beide. In ihrer Umarmung schwindet mein Schwarz. Ihre Lippen sind wie Purpur. Mein Schwarz, ihr Rot und das Weiß der ersten Blumen erinnern mich an Schneewittchen, Weiß wie Schnee, Rot wie Blut, Schwarz wie Ebenholz. Anna fängt an zu erzählen und in ihre Worte wärmen mich. Das mit dem Fluss ist ein Dilemma sagt sie. Ich stimme zu und umklammere dabei mein mobiles Endgerät, das nur noch Fotos und Filme trägt. Erinnerungen, die niemanden mehr erreichen, jedenfalls im Moment nicht. Das Ganze ist wie eine Endzeitübung. Am Ende wäre Anna auf der einen Seite und ich auf der anderen. Der Fluss ist breit und brutal. Die Möven kreischen ihr Geschrei.