Die Kostümierten

Anna schaut auf mich hinab. Ich bin auf dem Boden und versuche eine weiche Stelle zu finden. Rutsche mit dem Rücken herum ohne den Kopf zu bewegen. Lieg jetzt mal still sagt Anna und breitet ihre Arme aus. Ich leite jetzt die Genesung ein, sagt sie zu irgendwem. Eigentlich ist sonst keiner da. Ich schließe die Augen, weil ich sonst lachen muss aber nicht will. Ich bin schließlich krank und mag es nicht sein. Anna sagt ich mach dich gesund.

kostümiertSpürst du schon was? fragt sie nach fünf Minuten. Ich nicke mit geschlossenem Lächeln, fühle die Wärme, die von Anna ausgeht. Sie atmet und schweigt. Was sie macht sehe ich nicht.

Ich ziehe mich ins Innere zurück und ordne meine Gedanken. Dafür habe ich ein System. Zuerst werden die Aufdringlichen angemessen gewürdigt. Sobald sie an Intensität nachlassen, schiebe ich sie weiter nach hinten. Meistens rücken dann Gedanken nach, die sich selbst nicht so wichtig finden. Sie sind vage und flattern unsicher im Unkonkreten. Mache mir nicht die Mühe sie festzunageln, vielleicht später. Am Ende sind die Kostümierten dran, sie tun so als ob und sind nie was sie vorgeben. Sie dingfest zu machen ist schon schwieriger.

Auf den Clown falle ich immer wieder herein. Obwohl ich seit meiner Kindheit weiß, dass er ein Blender ist, kann ich seiner redseligen Leichtigkeit nicht widerstehen. Der Clown kommt meistens mit dem Narr. Der trägt dieses Hörnerkäppchen mit den Glöckchen dran und lacht die ganze Zeit. Der Clown und der Narr sind die härtesten meiner Gedankennüsse. Kaum zu knacken. Auch heute komme ich nicht dahinter, was sie wollen oder warum es sie überhaupt gibt. Sie scheinen es sich zur Aufgabe gemacht zu haben mich zu amüsieren, auf dieser dritten Ebene macht Spaß aber keinen Sinn. Ich öffne die Augen.

Anna ist weg. Hat sie mich einfach hier liegen lassen? Ohne Abschied? Ich bin hier, ruft sie aus der Küche. Willst du auch ein Glas? Sie steht in der Tür mit zwei Kelchen in der Hand und wippt auf und ab. Ihre Haare sind pink. Kann sie etwas wissen? Von den Kostümierten? Nein. Komm, sage ich und winke. Steh auf, sagt sie, du bist gesund und kannst stehen und trinken. Ich erhebe mich. Fühle mich gut. Genesen. Geheilt. Ganz. Anna sagt, du kannst jetzt das mit der Augenbraue machen, das ist lustig. Ich ziehe meine eine Braue hoch und wir kichern.

#VerschämteLektüre

Sonst schreibe ich hier ja nicht über das was ich lese und schon gar nicht über das was ich lese, was keine/r wissen soll, weil ihr ein gewisser Peinlichfaktor anhaftet, der direkt aus dem Bildungsbürgertum kommt und seit jeher Maßstäbe gesetzt hat.

Aber: Getriggert von Drittgedanke und Sätze & Schätze möchte ich vorstellen, was meine dunkle Seele bewegt, wenn niemand hinguckt. Ist jetzt leider englischsprachige Trivia. Wie soll ich das erklären? Schund im Original ist intellektuell noch wegen der Sprache verwertbar? Nö. Ich liebe es einfach, mich durch diese Wälzer zu lesen, die Wörter nachzuschauen, die einen schönen Klang haben bzw. deren Sinn ich nicht verstehe.

First: John Irving

LastNightTwistedRiver CiderHouseRules In_One_Person_(John_Irving_novel)_coverAn erster Stelle steht seit vielen Jahren John Irving. Kennen alle. Ist auch einige Male prominent verfilmt worden, zum Beispiel The Hotel New Hampshire mit Jodie Foster oder Cider House Rules mit dem frei übersetzten Titel Gottes Werk und Teufels Beitrag mit Tobey Maguire, Michael Caine und Charlize Theron.

Mein Lieblingsbuch von John Irving ist In One Person und während ich dies schreibe, habe ich Gänsehaut nur aus der Erinnerung an das Gelesene. Eigenen Angaben zufolge hat John Irving das Buch aus dem Gedanken heraus „Was wäre wenn?“ verfasst. Lächel. Die Geschichte handelt von Billy, einem bisexuellen Schriftsteller, der in den fünfziger Jahren in einer nordamerikanischen Kleinstadt aufwächst, wo er auf die Bibliothekarin Miss Frost trifft. Miss Frost war früher eine Lokalberühmtheit in der männlichen Ringermannschaft, ja genau, ein Mann. Billy verliebt sich fortan in die „falschen Leute“, also crushes on the wrong people, was sich viel besser anhört und was ich von mir selbst ganz gut kenne. Da bin ich auch nicht alleine, ich kenne viele Leute, die sich wiederholt falsch verlieben und wie ich ziemlich darunter leiden. Bei mir liegt das an den Projektionen, die mir mein Gehirn auf die innere Leinwand schickt und ich höre es schon wieder kichern, wenn ich auf seine alten Tricks hereinfalle.

Beim Buch Last Night in Twisted River muss ich am Ende weinen, obwohl ich es schon kenne. So ein Happy End gibt es nicht ein zweites Mal, und so unerwartet. Meine ganze romantisch verkitschte Fantasie kommt da auf ihre Kosten. Zuvor hat ein alleinerziehender Koch mit seinem Sohn in der kanadischen Holzfällerszene ums Überleben gekämpft, der Sohn wird Schriftsteller und sein Leben verläuft wie in einem seiner Bücher.

Second: Dan Simmons

blackhills Terror_simmons Crook_factory_bookcoverVor einiger Zeit habe ich Black Hills von Dan Simmons in die Finger gekriegt. Dan Simmons ist ein US-amerikanischer Bestseller-Autor aus der Ecke Stephen King. Er schreibt Fantasy, Science Fiction und Horror, aber auch historische Romane mit Fantasy- und Horroranteilen, zum Beispiel in The Terror über die Franklin-Expedition 1845 auf der Suche nach der Nordwestpassage. Wer wie ich schon als Kind Expeditionsbücher verschlungen hat, wird diese Geschichte lieben. Franklin hat die Nordwestpassage nicht bezwungen. Er hat nach unbeschreiblichen Qualen und zwei eisig kalten Wintern, in denen die See, in die die beiden Expeditionsschiffe HMS Terror und HMS Erebus hineingefroren sind, nicht auftaut, mit seiner Mannschaft nur den Tod gefunden.

In Black Hills beschreibt Dan Simmons aus sehr ungewöhnlicher Perspektive das ganze Drama der Vernichtung der First Nation, also der Indianer, durch die Weißen. Seine Hauptfigur Paha Sapa, das bedeutet Black Hills, die wiederum sind die heiligen Berge der Sioux, versucht am Ende des Buchs, über die Schatten seines Lebens zu springen und als Ureinwohner einen Anschlag auf die sich gerade im Bau befindlichen Präsidentenköpfe am Mount Rushmore zu verüben. Das Buch hat mich sehr berührt, weil es den aussichtslosen Kampf der First Nation in eine sehr persönliche Geschichte verpackt und dem Protagonisten Paha Sapa von Anfang bis Ende alle Sympathien schenkt.

The Crook Factory von Dan Simmons handelt von Ernest Hemingway, während er 1942 auf Kuba einen kleinen Spionagering aufzieht. Die Geschichte basiert auf historischen Fakten, viel FBI-Material und ist so absurd unwahrscheinlich, wie es oft Geschichten sind, die auf einer wahren Begebenheit beruhen. Eine kleine Episode von Hemingways Leben aus der James-Bond-Perspektive kennen zu lernen, ist sehr amüsant, spannend und hochgradig unterhaltend. Dan Simmons zeichnet den raubeinigen Schriftsteller in bekannten Bildern: auf seinem Boot beim Hochseefischen, in seiner Hacienda beim Galadiner mit Gary Cooper und Ingrid Bergmann, beim Besuch der einheimischen Cafés in Havanna. Tropisches Klima, eine Menge Alkohol und Verfolgungsbootsfahrten in der Karibik, was will ich mehr?

Das war´s jetzt mit dem Outen. Ich werde mich nun wieder dem zuwenden, was aus diesen Lektüren an eigenen Texten springt. Hat aber Spaß gemacht, mal über das Verschämte zu schreiben und zu wissen: es gibt einen Ort dafür, unter #Verschämte Lektüre bei Sätze & Schätze und bei mir im Herzen. Schmacht.

Aufstieg und Fall, epic

Was mir hier auf der Erde immer wie eine Katastrophe vorkommt ist im universellen Sinn der ganz normale Lauf der Dinge: Ein Stern steigt auf, brennt, verglüht. Ein Planet wird geboren, dreht seine Runden, vereist, vertrocknet oder verglüht mit dem Stern. Das geht alles sehr langsam und im irdischen Sinne liegt die Katastrophe natürlich im schnellen Aufstieg, dem der Fall immer schon innewohnt. Das gilt sowohl für die Besteigung des Mount Everest als auch für eine Banker-Karriere. Ich bewundere Reinhold Messner (der ist ja im Vergleich zu vielen anderen Bergsteigern glücklicherweise nie abgestürzt oder höchstens ein bisschen) und einer meiner besten Freunde ist ein Ex-Banker.

Grundsätzlich kommt vor dem Fall mein menschliches Versagen, auch wenn ich den Maschinen oder dem Schicksal die Schuld gebe. Ich stehe besonders blöd da, wenn ich vergessen habe Distanz zu meinem Eifer, zu meinem Ehrgeiz und zu meiner Anstrengung zu halten und mir jegliche Selbstironie abgeht. Aber sei mal am Ende deiner Kräfte und lache über dich. Einfach ist das nicht. Es lacht auch niemand mit dir. Manche sind beleidigt, andere schadenfroh. An einer Niederlage will niemand teilhaben.

Gut, dass es zumindest etwas Trost und geteilte Erfahrung gibt. Es geht auf- und wieder abwärts. Unten ist das Tal der Mühen und dann kommen die Mühen am Berg. Ein schöner Augenblick ist oben auf dem Gipfel (Aussichtsplattform, Helilandeplatz) zu stehen und sich umzuschauen. Weitblick. Höhenkoller. Manche mögen auch den Schweiß des Aufstiegs. Den Fall mag niemand, er ist unkontrolliert und sieht in keinem Fall elegant aus, fühlt sich auch nicht so an. Kontrolliert absteigen macht andererseits keinen Spaß, woher weiß ich was ich aushalte, wenn ich zu vorsichtig bin?

Also geht es nur in diesem rumpeligen Trott und wenn ich ehrlich bin, liebe ich die Schrammen, Kratzer und Narben, die ich bisher davongetragen habe. Ich zeige sie nicht auf jeder Party, aber mein inneres Auge verrät mir, wer auch welche hat. Wir heben dann in stillem Einverständnis unser Glas und heißen den nächsten Fall willkommen. Wo ich zurzeit stehe? Irgendwo am Berg.