Komm ins Licht

Anna sagt: Ich bin müde. Den ganzen Tag schwimme ich wie ein Goldfisch im Glas im Kreis herum. Ich lege gewaltige Strecken zurück. Im Laufe meines Lebens bin ich schon dreimal um die Erde geschwommen. In kleinen immer gleichen Runden. Mein Horizont ist ein Kreis aus Zimmerwänden.

Ich schaue in Annas Augen und sehe schwarz. Senke meinen Blick. Verrate mich damit. Was ist, fragt sie. Du brauchst eine Öffnung, sage ich. Du musst raus aus dem Glas. Es ist wie eine gefrorene Aura. Schwarz statt Weiß. Ich verstehe das nicht.

Das Schwarz steht für meine unerfüllten Wünsche. Ich habe sie schon so lange, dass sie angelaufen sind. Sie sind aus Silber. Aus kühlem Metall, das schimmert wie der Mond. Ich bin innen und das Schwarz ist außen. Ich habe Angst, dass ich die Schicht nicht mehr durchbrechen kann. Meine Wünsche wollen raus. Du hast es gesehen, stimmt`s?

Ja. Dann hilf mir, wenn du kannst. Ich bin keine Seelenklempnerin. Nein, aber eine Schwarzseherin. Sie grinst schief. Ich kann dir nicht helfen. Doch. Okay, ich versuche es. Anna beschreibt ihre Angst. Sie ist wie Asche mit Wasser. Eine Kruste. Mit Disziplin gehärtet. Weil das was innen ist, stark sein kann. Es drückt nach außen: Wie ein Gras, das durch den Asphalt will. Manch ein Halm schafft das sogar. Wenn er sich über die Oberfläche streckt, wird er zertreten.

Du hast mehr Angst vor dem Licht als vor dem Dunkel, Anna. Was sind das eigentlich für Wünsche?

Anna lacht. Ich getraue mich nicht, das zu sagen. Wir sind in einem öffentlichen Raum. Dann schreibe mir einen hier auf diesen Zettel, nur für mich zum Lesen. Aber du darfst nur lesen, den Zettel will ich nicht aus der Hand geben. Okay. Anna kritzelt einen Satz und schiebt ihn mir hin. Ich kneife die Augen zusammen. Ehrlich? Das ist ein unerfüllter Wunsch von dir? Das ist ja …. also …. das hätte ich nicht gedacht. Findest du ihn schlimm? Nein! Überhaupt nicht, er ist eigentlich ein völlig normaler unerfüllter Wunsch, wie wir alle ihn irgendwie haben. Ja, du auch? Na ja, so ähnlich, nicht ganz genau gleich. Dann bin ich ja beruhigt.

Anna will einen Deal. Ich darf ihre unerfüllten Wünsche lesen, aber ich darf nicht darüber schreiben. Komischer Deal in meinen Augen, aber wenn`s hilft. Therapeutische Vorstufe nenne ich das. Dafür kriege ich von ihr einen Ellenbogen in die Rippen. Zeit für Rotwein.

„Es ist unser Licht, das wir fürchten, nicht unsere Dunkelheit.“ Nelson Mandela

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