Escheschlitten

Ein neues Blatt im Baumkalender: Esche, Fraxinus excelsior.

Was für ein Name.

PflanzenWie ein Hotel. Scheint adelig zu sein mit einer Tradition von Bögen und Speeren. Bei den Germanen und Kelten heilig heißt sie Weltenbaum Yggdrasil und umspannt den ganzen Kosmos von den Göttern bis zur Unterwelt. In ihren Wurzeln sitzen drei Schicksalsgöttinnen. Nach der nordischen Mythologie sind aus einer Esche die ersten Menschen entstanden.

Was für ein Hintergrund.

Ihrer puren Erscheinung im Park merke ich den Stammbaum nicht an. Doch jetzt, mit botanisch historischem Hintergrundwissen wächst eine Ehrfurcht. Dazu kommt die bestürzende Lektüre des Buchs Die Intelligenz der Pflanzen, wärmstens empfohlen von Petra Wiemann und verschlungen in einer Nacht bis kurz vor die Dämmerung.

Was für ein Buch.

Darin steht die teilweise bewiesene These, „dass Pflanzen trotz ihrer (scheinbaren) Unbeweglichkeit über stupende Fähigkeiten verfügen, ja über Intelligenz.“ Ich habe es geahnt. Warum sonst durchströmen mich warme Wellen der Glückseligkeit, wenn ich in einer Wiese liege? Wenn mein Blick über den Teppich aus grünem Moos wandert? Wenn Dornen mir die Haut reißen weil ich unbeholfen durch das Unterholz krieche? Die Kultur nagelt mir Bretter vor den Kopf. Nicht aus Esche. Aus IKEAKiefer.

Was für ein Baum.

Wärmeliebender Pionierlaubbaum mit gutem Stockausschlagvermögen. In krautreichen Laubmischwäldern flussbegleitend in der feuchten Hartholzaue. Entlang kleiner Wasserläufe auf tiefgründigen frischen feinerde-, nährstoff- und basenreichen Lehm- und Tonböden humider Klimalagen. Menschen lieben ihn als Park- und Straßenbaum. Wenn sie ihn fällen, verarbeiten sie ihn zu Parkettböden und Sportgeräten, zum Beispiel Schlitten. Escheschlitten.

Thorbeckes Bäume Kalender 2015

Die Intelligenz der Pflanzen, Stefano Mancuso, Alessandra Viola, 2015

Lexikon der Baum- und Straucharten, 2011

addicted to Buschwindröschen

BKick1Es scheint als rauben mir die Wälder die Worte. Nicht nur den Atem, nein, ganze Sätze wischen sie weg. Wollen nur gesehen und bewundert werden, nicht beschrieben mit wohlüberlegten Wendungen. Also halte ich die Bilder fest, banal auf digital.

BKick7BKick5Dazu etwas Prosa aufs Auge: Die zarten Blüten der Buschwindröschen, die alle Böden bedecken wie frischer Schnee. Wie ihre Kelche im Wind zittern und ihr kaum wahrnehmbares Rosa verschütten. Wie sie anmutig unter den Baumriesen ihre Haltung bewahren. Ihre Beweglichkeit feiern mit hundertjährigen Stammgästen.

BKick3BKick6Sie besetzen meine Netzhaut, belagern meine Sinne für den einen Moment der Bewunderung. Seufzen könnte ich. Addicted bin ich. Alle Schatten auf der Seele blenden sie weg. Weiß. Anemone nemorosa und Anemone sylvestris.

Elisabeth, Moni- und Veronika

elsbeereIch und mein Pflanzenkalender.
Die Elsbeere ist mit der Mehl- und Vogelbeere verwandt. Das klingt wie: Die Elisabeth ist mit der Moni- und Veronika verwandt. Schlagen in die gleiche Art. Sind aus dem selben Holz geschnitzt. Das Holz der Elsbeere ist hart aber elastisch. Die Haut von Elisabeth ist zart aber plastisch. Die apfelähnlichen Früchte der Elsbeere sind gekocht oder in sehr reifem Zustand genießbar und bei Vögeln sehr beliebt. Aus ihnen kochen die Damen Schnäpse und Marmelade, die sie gut gelaunt genießen, auf den Schnaps fangen sie an, Lieder zu singen von Vögeln, die Elsbeeren futtern.

In der Pflanzenliteratur* werden die Pflanzen stark vermenschlicht beschrieben. Verwandtschaft. Gesellschaft. Treue. Kultur. Reich. Mega- und Mikro. Ein Beispiel für die Elsbeere (Sorbus torminalis): … eine der wenigen Sorbus-Arten, die nicht bastardiert. Also keine nichtehelichen Nachkommen. Das ist jetzt bei Elisabeth, Moni- und Veronika anders. Sie sind moderne Frauen mit Kindern aus nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Die Kinder werden zum Glück nicht mehr Bastarde genannt.

Während die Menschengesellschaft sich hierzulande in Bezug auf Begriffe liberal weiterentwickelt, bleibt die Pflanzen beschreibende Sprache im historischen Slang hängen: Die wurzelbrutbildende Halbschattenbaumart mit collin-submediterranem Optimum meidet feuchte Schattenlagen und geht nicht über 1.000 m. Liefert ein schweres, hartes und zähes Holz für Spezialzwecke.

Welche Spezialzwecke sind gemeint? Elsbeerenbaummöbel? Noch nie gehört. Musikinstrumente aus Elsbeerenholz? Hochelastische Prothesen für Menschenbeine? Whatever.

Elisabeth, Moni- und Veronika und die Kinder lieben die Berge. Vor allem die über 1.000 m, weil da gibt es mehr Felsen und Aussicht auf die leuchtend gelbe Elsbeerenherbstfärbung an den sonnigen Hängen. Die Kinder klettern auf die kalkigen Steine und wieder herunter. Die Frauen picknicken. Ihre Verwandtschaft ist eine gewählte. In ihren Augen spiegeln sich Aufrichtigkeit und Achtung vor der Aura der anderen. Außenstehende könnten sie leicht für Schwestern halten, so vertraut sind sie. Als wären sie zusammen aufgewachsen. Als wüchsen und stünden sie wie ein kleiner Hain aus Els-, Mehl- und Vogelbeere. Sie wachen mit aufmerksamem Blick über ihre Brut neeee, Kinder, damit sie sich nicht stoßen oder stürzen. Die Kinder sind wild. Haben noch keine festen Wurzeln. Wachsen noch eine Weile. Ihr Geist soll frei sein. Kein Einsatz für Spezialzwecke ist für die Kinder geplant. Sie sollen machen was und wo immer sie wollen. Elsewhere.

*Lexikon der Baum- und Straucharten, P. Schütt, H.J. Schuck, B. Stimm, 2011

Süßer Filz

Schokopralinen aus Filz
Schokopralinen aus Filz

Habe mein Trampolin auf die Terasse gestellt weil morgen der Frühling kommt. Einfach nur hüpfen, oder? Das Gehirn im Frühling – eine Reise wert. Die düsteren Farben dominieren, was ist schon ein leuchtend rosa blühender Pfirsichbaum auf einem schwarzen Schieferfeld? Eine Wonne gerade wegen des dunklen Hintergrunds.

Auch Frühlingsanfang: Im Wald viele Zitronenfalter auf der vergeblichen Suche nach Zitronenbäumen.

Meine zwei Blogs überfordern mein Gehirn, es bringt die Rollen durcheinander. Zitiert Klassik statt Moderne. Heute wieder gefacetimed. Das wird die Zukunft des Telefonierens sein. Mir kam es vor wie interaktives Fernsehen. Doof, wenn die anderen mich sehen.

Bin krank. Unentschlossen. Was macht das Gehirn wenn der Kopf schmerzt? Manchmal geht mir die symbiotische Anhänglichkeit meines Gehirns ganz schön auf die Nerven. Alles will es gemeinsam machen, alles wissen. Ich bin auf Symmetrie getrimmt und finde immer etwas. Wenn nicht, denke ich mir was aus. Kann ich vor meinem Gehirn ein Geheimnis haben? Stoße ich jetzt mal an meine Grenzen? Ein Ponyhof für die Vorstellung von einem in die Grenzen gewiesenen Gehirn.

So mit dem Gehirn beschäftigt, dass ich vergesse über es zu schreiben. Es hätte mich erinnern können, oder? Eine gute Entscheidung, dem Gehirn kein männliches oder weibliches grammatikalisches Geschlecht zu geben. Es bleibt es.

Die Symbiose von Musik und Literatur ist immer wieder ein Erlebnis. Die grauen Zellen tanzen. Monk. Jazz. Dyers. Beautiful. Musik und Sprache sind Syntax und in beiden Hirnhälften angesiedelt. Diese Gemeinsamkeit macht mich glücklich.

Solange sich die Hirnforschung noch als Leitwissenschaft fühlt (!) gebe ich meinem Gehirn eine Chance. Wer sein Gehirn quälen möchte serviere ihm Reiseis. Es schiebt den Ekel voll auf die Geschmacksnerven. Die Pralinen sind aus Filz.

Ich fotografiere Muster in der Natur, mein Gehirn hilft mir sie zu finden. Ein toter Plastikvogel.

Im Album finde ich ein Schaffoto. Nein das ist nicht meine Familie.

Mein Gehirn verweigert mir vehement die Erinnerung an seine Kindheit. Stimmt nicht. Schon früher mochte mein kleines Gehirn gerne Musterkataloge für Farbmischungen, Tapeten und Stoffe.

Das Unbewusste lügt nicht sagt der Kernspintomograf, aber wen interessieren diese Facts außer der Maschine?

Brauche weder Herr noch Haus, mein Gehirn aber schon. Bio oder konventionelle Vita, das ist wie Apple oder Microsoft keine rationale Entscheidung, sondern eine gesunde. Ein Dopaminbonbon als Anerkennung für dein Wohlverhalten. Du bist süchtig danach, stimmt´s?

Dilemma bzw. die Lämmer

Ich wohne zwischen dem Ufer des Flusses und dem Fuße des Berges. In dieser schmalen Zone. Der Boden steigt zuerst leicht an, dann wird er ein steiler Hang. Gerade stehen ist nicht vorgesehen. Auf der Wiese mit den Streuobstbäumen weiden Schafe trächtig mit Lämmern. Sie gucken blöd und blöken.Schaf8Schafe denken immer ich wolle ihnen was. Weit gefehlt. Wegen denen komme ich doch her. Das kapieren die nicht. Nur weil ich anders aussehe akzeptieren sie mich nicht. Oder sie sind wirklich klug und denken an das was Albert Einstein gesagt hat: Willst du ein ordentliches Mitglied der Schafherde sein, musst du vor allem eins sein: Ein Schaf. Okay, ich bin kein Schaf. Ich fühle mich nur verwandt. Das reicht aber nicht. Verdrängt von einer Mauer aus Misstrauen gehe ich zurück zum Fluss.

Am anderen Ufer steht Anna und winkt. Sie hüpft auf der Stelle. Ihr roter Mantel sendet rote Signale. An ihrem Hüpfen erkenne ich sie. Die Schiffe kümmert das nicht, mich schon. Würde sie rufen könnte ich nichts hören. Das Wasser ist still doch die Strömung dröhnt. Nonverbal können wir hier nicht kommunizieren. Das Netz geht nicht. Niemand kann Nachrichten senden. Wirklich. Seit Wochen schon. Annas Arm macht ausladende Andeutungen in Richtung Fähre. Heißt das sie setzt über oder soll ich? Würden wir weiter warten stünden wir noch eine Weile. Die Beherzte bin ich. Schon immer gewesen. Weil Stillstand nicht mein Ding ist. Bewegung ist meine Berufung. Das klingt gut, ist es aber nicht immer. Manchmal schieße ich am Ziel vorbei. Zuviel Fahrt weil ich bergab renne. Allein. Kurz vor dem Ufer bremse ich ab.

Auf dem Schiff schlottern mir die Knie. Der Wind ist kalt und stark. Anna wird größer und das Rot ihres Mantels reicht für uns beide. In ihrer Umarmung schwindet mein Schwarz. Ihre Lippen sind wie Purpur. Mein Schwarz, ihr Rot und das Weiß der ersten Blumen erinnern mich an Schneewittchen, Weiß wie Schnee, Rot wie Blut, Schwarz wie Ebenholz. Anna fängt an zu erzählen und in ihre Worte wärmen mich. Das mit dem Fluss ist ein Dilemma sagt sie. Ich stimme zu und umklammere dabei mein mobiles Endgerät, das nur noch Fotos und Filme trägt. Erinnerungen, die niemanden mehr erreichen, jedenfalls im Moment nicht. Das Ganze ist wie eine Endzeitübung. Am Ende wäre Anna auf der einen Seite und ich auf der anderen. Der Fluss ist breit und brutal. Die Möven kreischen ihr Geschrei.