Grünes Licht

glitzer3Schlossleuchten auf Schloss Drachenburg– so lautet der offizielle Titel der Lichtinstallation, die ab morgen an vier Wochenenden geschaltet ist. Hunderttausende von Lichtern, unzählige LEDs, riesige Projektoren erleuchten Bäume, Wege und Sträucher, aber vor allem die Architektur des Schlosses. Natürlich nicht nur Grün, sondern alle Farben des Spektrums kommen zum Einsatz. Das Schloss eignet sich sehr gut dafür, es sieht ja schon ohne bunte Scheinwerfer aus wie ein Hologramm direkt aus Disneyworld.

Lila und grün für den Nordturm, rot und pink für den Gotikbogen des Haupteingangs, Glitzer, Glimmer, Schimmer. Besondere Kontraste entstehen durch die harten Schatten im verschnörkelten Mauerwerk. Noch mehr als sonst steht hier ein Märchenschloss – und sieht aus  Heute Abend ist es noch ganz leer, morgen wird hier ein Rummel sein. Karneval ist ja auch schon ein paar Tage vorbei, da braucht die rheinische Feierlaune neues Feuer.

„Wir lieben Licht“

Die Event Firma World of Lights mit Wolfgang Flammersfeld und Reinhard Hartleif liebt Licht (der Slogan kommt mir irgendwie bekannt vor) hat schon viele eindrucksvolle Licht-Installationen realisiert. Ein ganzes Team von Lichttechnikern, Logistikern, Videoanimateuren, Metallbauern und Helfern hat gestern aufgebaut, installiert, getestet und vorgefühlt. Beim Arbeiten lief Musik. Das wird kein andächtiges Werk, schon zum Staunen, aber noch im Schunkelschwung von vor drei Tagen.

Gestern war Generalprobe – und das Probeleuchten war schon ziemlich eindrucksvoll. Ab morgen Abend leuchtet Schloss Drachenburg in allen Farben. Das sieht auch vom Tal gut aus, doch der steile Anstieg lohnt sich.

Die Zeit ist um

In meine Wanne steigt ein dicker Mann, sehr dick. Der Wasserspiegel steigt um mehrere Zentimeter. Ich lächle höflich und denke Mann ist der dick. Sein Körper verschwindet unter der Oberfläche. Sein großer gelockter Kopf hüpft wie ein Korken auf und ab. Dampf steigt auf. Dann spricht er zu mir. Er sagt nicht Hallo oder seinen Namen. Nein, er erzählt von seinem Krampf. Ein anhaltender Krampf in der Wade. So schlimm, dass er orthopädisch behandelt werden muss. Der Arzt hat ihm mehr Bewegung verordnet. Seitdem fährt er Rad, also E-Bike.

Ich tauche kurz unter, denn die Wanne ist ein Whirlpool im Freien und es ist Winter. Da wird der Kopf kalt. Das Wasser ist warm, aber der Kopf wird kalt. Der Pool ist direkt am Rhein, es tuckern Frachter vorbei. Meine Beine machen Schwimmbewegungen wie ein Frosch. Dabei schaue ich auf die Uhr. Fünf Minuten. Zehn Minuten. Der Mann redet, ich strample. Er spricht von den Touren mit seinem E-Bike. Er fährt zum Beispiel mit der Bahn bis an die belgische Grenze und radelt dann durch das hügelige Land. Oder er fährt nach Aachen und von da nach Holland. Holland finden wir beide gut. Ich nicke stumm.

Rhein_10Von der Wanne haben wir Aussicht auf eine Burg über Bad Breisig. Diese Burg kenne ich nicht. Ich frage den Mann ob er weiß was mit der Burg ist. Er sagt, da wohnt ein amerikanischer Nerd, Computer und so. Echt? Ja, nicht Steve Jobs, RIP, aber auch ziemlich groß. Also ist die Burg in Privatbesitz. Jaja. Ich glaube ihm nicht. Wenn ich auf die Burg schaue, gucke ich immer gegen das Licht. Ich sehe nur die Silhouette.

Nach fünfzehn Minuten verabschiede ich mich. Sage ich wolle noch schwimmen. Aber ich will nur weg. Dieses Missverhältnis der Proportionen irritiert mich. Am Arm des Mannes ist mehr als an meinem Bein. Also mehr von Allem: Knochen, Gefäße, Fleisch, Haut, Haare. Mein Gehirn betont diese Dinge wie Dexter. Der diese Teile im Meer versenkt. In schwarzen Mülltüten. Weil es Morgen ist und weil die Sonne scheint fröstelt mich nicht. Meine Anteilnahme bei Dexter ist keine Opfersicht.

Mit kräftigen Zügen schwimme ich gegen meine Zickigkeit. In der Halle steht der Bademeister auf einem Bein und animiert mit lauter Stimme die Badenden, es ihm gleichzutun. Die Menschen fallen wie in Zeitlupe. Ich ziehe meine Bahnen und zähle die Minuten. Im Bad geht es immer um die Zeit. Ich bezahle die Zeit, die ich hier verbringe. Der Meister balanciert noch. Er folgt meinem vorbeischwimmenden Blick. Dann ist es vorbei. Die Zeit ist um.

Die Kostümierten

Anna schaut auf mich hinab. Ich bin auf dem Boden und versuche eine weiche Stelle zu finden. Rutsche mit dem Rücken herum ohne den Kopf zu bewegen. Lieg jetzt mal still sagt Anna und breitet ihre Arme aus. Ich leite jetzt die Genesung ein, sagt sie zu irgendwem. Eigentlich ist sonst keiner da. Ich schließe die Augen, weil ich sonst lachen muss aber nicht will. Ich bin schließlich krank und mag es nicht sein. Anna sagt ich mach dich gesund.

kostümiertSpürst du schon was? fragt sie nach fünf Minuten. Ich nicke mit geschlossenem Lächeln, fühle die Wärme, die von Anna ausgeht. Sie atmet und schweigt. Was sie macht sehe ich nicht.

Ich ziehe mich ins Innere zurück und ordne meine Gedanken. Dafür habe ich ein System. Zuerst werden die Aufdringlichen angemessen gewürdigt. Sobald sie an Intensität nachlassen, schiebe ich sie weiter nach hinten. Meistens rücken dann Gedanken nach, die sich selbst nicht so wichtig finden. Sie sind vage und flattern unsicher im Unkonkreten. Mache mir nicht die Mühe sie festzunageln, vielleicht später. Am Ende sind die Kostümierten dran, sie tun so als ob und sind nie was sie vorgeben. Sie dingfest zu machen ist schon schwieriger.

Auf den Clown falle ich immer wieder herein. Obwohl ich seit meiner Kindheit weiß, dass er ein Blender ist, kann ich seiner redseligen Leichtigkeit nicht widerstehen. Der Clown kommt meistens mit dem Narr. Der trägt dieses Hörnerkäppchen mit den Glöckchen dran und lacht die ganze Zeit. Der Clown und der Narr sind die härtesten meiner Gedankennüsse. Kaum zu knacken. Auch heute komme ich nicht dahinter, was sie wollen oder warum es sie überhaupt gibt. Sie scheinen es sich zur Aufgabe gemacht zu haben mich zu amüsieren, auf dieser dritten Ebene macht Spaß aber keinen Sinn. Ich öffne die Augen.

Anna ist weg. Hat sie mich einfach hier liegen lassen? Ohne Abschied? Ich bin hier, ruft sie aus der Küche. Willst du auch ein Glas? Sie steht in der Tür mit zwei Kelchen in der Hand und wippt auf und ab. Ihre Haare sind pink. Kann sie etwas wissen? Von den Kostümierten? Nein. Komm, sage ich und winke. Steh auf, sagt sie, du bist gesund und kannst stehen und trinken. Ich erhebe mich. Fühle mich gut. Genesen. Geheilt. Ganz. Anna sagt, du kannst jetzt das mit der Augenbraue machen, das ist lustig. Ich ziehe meine eine Braue hoch und wir kichern.

Schlaf ist meine Decke

In dieser Nacht fällt sie von mir ab. Die Erinnerung. Sie stürzt in die Tiefe wie Gandalf in den Schlund des Balrog von Morgoth. Lange sehe ich ihr hinterher. Im Traum kann ich das. Kann sie noch als kleines Pünktchen sehen, das langsam eins wird mit der sie umgebenden Dunkelheit.

Schlaf ist meine Decke

Der Verlust lässt mich zittern. Als müsste mein ganzer Körper Abschied nehmen. Soll er doch. Das Bett vibriert. Dann ist es vorbei und weil die Erinnerung weg ist, wundere ich mich was mich so bewegt hat. Ich erinnere mich nicht. Muss ein Traum gewesen sein.

So geht es mir ständig. Ich erlebe, rätsle lange herum ob das wichtig ist, gebe Raum, drehe und wende mich, um zu passen bis es kneift und ich erkenne, dass nichts passt. Dann ist schon eine dünne Haut zwischen mir und den Dingen, die da passieren, Haut wie auf erkaltender Milch oder Haut wie die sich lösende von Schlangen. Ich schlängel mich raus. In der Nacht wird die Erinnerung entsorgt. Ich zittere und schwitze ein wenig und vielleicht schreie ich auch manchmal. Das müssen leise Töne sein, denn niemand hat sich je darüber gewundert, ist aufgewacht, hat mich geschüttelt und gesagt wach auf. Der Schlaf ist meine Decke. Gemeinsam halten sie mich warm.

Am Tag bin ich wach. Goldene Sonne im Gehirn und auf dem Haar Schnee, der schmilzt. Tränen, die mir lachend über die Wangen laufen. Keiner bezweifelt meine Heiterkeit. Ich frage mich, ob dieser Verlust an Erinnerungen zu meinem Glück beiträgt. Denn das Gute bleibt, nur schwarze Gedanken und ihre rußige Rinde gehen zugrunde. Nein, ich lächle nicht. Mache mir schon wieder einen Kopf ob nicht auch das Schlechte eine Gunst verdient und der Ausgewogenheit willen nicht eine Art Gleichgewicht herrschen soll. Herrjee, die herrschende Meinung hat mich immer schon geärgert und dieser strenge Dualismus ist auch nicht meins.

Mein Gehirn meint es wüsste auch nicht wer die Kontrolle über die Auswahl der zu vergessenen Erinnerungen hat. Es selbst nämlich nicht und schließlich sei es auch nicht für alles zuständig. Es wäre ihm egal, woran und woran es sich nicht erinnert. Qualitativ spiele das keine Rolle. Den Konjunktiv hat es jedenfalls gut im Griff, denke ich. Den Genetiv könnte es noch üben. Als es den Gedanken liest verzieht es wahrscheinlich das Gesicht, das es nicht hat.

Castle

Eine Frau geistert in diesen Mauern. Nachts hetzt sie durch den Saal, aber niemand sieht sie. Keiner hört sie, wenn sie ihre Klagen flüstert. Sie ist eine Erinnerung, so stark und mächtig, dass sie wie Materie ist. Ein Hologramm. Eine Gestalt. Eine Tote, die mal gelebt hat. Sie ist da für die, die so etwas für möglich halten. Sie ist eine Mahnerin. Nicht alle müssen sterben, die von diesem Turm springen. So hoch ist er nicht. Man kann das auch überleben. Sie springt und schafft es nicht.

Die Schlüsselszene ist folgende: Es ist 1885. Anna ist jung und nach eigenem Ermessen nur mäßig hübsch, weil sie keine Kurven hat und ihr Haar zu dünn ist. Außerdem kräuselt es sich ungeordnet zu wirren Locken wenn die Nebel vom Fluss aufsteigen. An ihrem 21. Geburtstag schenken ihr ihre Freundinnen Konzertkarten. Grandios. Mit glücklichem Gesicht kommt sie irgendwann in der Nacht nach Hause und wundert sich, dass in der Halle das Licht brennt. Dann fällt ihr ein, dass ihre Mutter sie nicht zu dem Konzert gehen lassen wollte. Sie will sie an ihrem Geburtstag ganz für sich haben. Sie hat sich widersetzt. Die Wut ihrer Mutter hat sich bis in die späten Abendstunden in einen rasenden Zorn verwandelt.

Anna kennt das schon. Wenn sie Pech hat, ist in ihrem Zimmer eine Verwüstung angerichtet oder in ihrem Tagebuch Seiten heraus gerissen. Sie schreibt mittlerweile ihre Aufzeichnungen im Bewusstsein dessen, dass die Mutter sie liest. Weil sie nicht einsieht, dass sie ihr Tagebuch verstecken oder immer bei sich tragen soll. Die Mutter verstößt gegen ihre Privatsphäre und nicht umgekehrt. Also ist sie selber schuld, wenn ihr nicht passt was da über sie geschrieben steht. Nun steht sie in der Tür und kann sich kaum beherrschen. Sie versperrt Anna den Weg ins Innere des Hauses, streckt ihre Hand aus und fordert mit lauter Stimme die Schlüssel ein. Sie sagt: Du gehst jetzt. Verschwinde. Ich will dich nicht mehr sehen. Schiebt ihre Tochter von der Schwelle und knallt die schwere Tür zu.

Verblüfft steht Anna noch eine Weile in der kalten Nachtluft. Was habe ich getan? Denkt sie. Nichts. Nichts. Nichts. Sie schnappt sich ihre Tasche und läuft den Berg hinab. Der Nachtwind tut gut. Fünf Jahre lang kehrt sie nicht zurück. Im vierten Jahr springt ihre Mutter vom Turm.

Diese Geschichte ereignet sich wirklich. Sie ereignet sich so lange immer wieder, bis sie auch Anna, die ich kenne, passiert. Sie starrt auf den Sims und sieht in die Tiefe. Etwas in ihr zögert. Wie kann sie aus dieser Schleife schlüpfen? Sie will nicht springen. Auch nicht irgendwann. Will auch gar nicht schuldig sein.

Den Geist ihrer Mutter schickt sie zum Teufel. Der will ihn nicht. Also geistert er weiter.