Lumumb…ae

Lumumbae2Hier oben pfeift der Wind durch die Mauerlöcher. Durch die warmen Mäntel. Kühlt die Körper aus. Das weite Land ist Aussicht. Es streckt und dehnt sich, will nur Land sein. Hügel, Wald und Acker. Der Horizont ist stärker, er drängt die Erde nach unten, macht dem Himmel platz. Der Himmel ist eine große Herde Schafe mit dickem Fell. Dicht an dicht wehen sie weiter.

Anna hat blaue Ränder unter den Augen. Die Kälte lässt ihre Zähne klappern. Trotzdem ist sie gut gelaunt. Ihre Heiterkeit ist solide wie die Grundsteine dieser Burg. Alt. Fest. Haltbar. Sie zieht eine kleine silberne Flasche aus ihrer Tasche. Schraubt den Deckel auf. Hält sie mir hin. Trink. Ich frage nicht was drin ist. Es ist Wärme mit etwas Hitze. Sie bahnt sich einen Weg in meine Wangen.

Warum ist hier niemand? Es ist Wochenende und das Wetter ist schlecht. Wir wagen uns dennoch in diese Gegend, wägen die Gefahren leichtsinnig ab, Steine, Felsen, Stürze, Äste, die uns erschlagen. So abwegig ist das nicht. Wir wären nicht die ersten. Wollen sie auch nicht sein. So ein Ast fällt schnell auf den Weg. Also schauen wir nach oben in die Wipfel, wo sich die schwarze Rinde reibt. Sehen aus wie verbrannt. Kohlrabenschwarz wie die Krähen, die auf ihnen lauern und uns die Augen aushacken, wenn wir am Boden liegen.

Anna lacht. Du bist düster, sagt sie zu mir. Ich weiß. Muss meinen Geist mal einweihen, dass diese Grabesstimmung eine schlechte Gewohnheit meines Gehirns ist. Sobald es eine Schwäche findet verbündet es sich. Wir atmen die Gruftluft, huhu. Dumpf steigt sie aus dem Gemäuer. Was ist da unten, frage ich. Nichts, sagt Anna. Woher willst du das wissen? Ich weiß es. Ich muss das nicht vertiefen. Wir klettern über das Verboten-Vorsicht-Lebensgefahr-Schild und steigen die Steintreppe hoch. Oben tobt der Sturm. Keine Geländer, kaum was zum Festhalten. Die Wolken haben jetzt die Erde erreicht und rollen auf uns zu.

Lumumbae1Schnell weg hier. Wir wollen schließlich noch ins Einkehrhäuschen. Das ist so eine Art Truckstop mitten im Wald, also ohne Trucks, aber 24 Stunden offen. Dort gibt es Lumumba, also heiße Schokolade mit Sahne und Rum. Der Barmann wirft seine Tolle nach vorn und lächelt uns an während er die Drinks erhitzt. Er hat rote Bäckchen wie wir, weil er dauernd raus muss ins Zelt. Dort sitzen die, die keine Bänke an der Bar bekommen haben. Sie verpassen die Barman Rockabilly Show. Dressed in Black, Gitarren Country Sound aus den Boxen schüttelt er, schäumt und schwenkt. Rührt und serviert. Anna sagt das rockt und bestellt noch zwei Lumumb…ae. Danach gackern wir wie Wildgänse auf ihrem Weg nach Süden. Wir haken uns ein und lassen uns vom Gefälle ins Tal leiten. Es fängt an zu schneien.

Kiosk

KioskAn diesem Kiosk kann man nix kaufen. Es ist nur eine Schrift auf einem Haus. Graffity? Lenke meine Schritte zur besprühten Wand und suche einen Eingang. Lasse meine Finger über den Verputz gleiten. Vielleicht gibt es eine versteckte Tür. Während mein Gehirn schon mental abwinkt, will ich nicht wahrhaben, dass dies eine Irreführung ist. Sprühe Kiosk auf eine Wand und gehe Zigaretten kaufen. Komme nicht zurück. Bleibe in der Welt in des Virtuellen. Wer gibt mir diese affirmativen Anweisungen? Kiosk ist ein Geniestreich.

Seit ich Kafka und Breton gelesen, später Matrix gesehen habe ist der Konjunktiv für eine Parallelwelt relativ. Mag sie Kiosk heißen. Hier kann ich einfach alles kaufen. Was will ich denn? Ich will alles. Alles was es gibt. Süßigkeiten, Menschen, Abenteuer, Berge, Gelegenheiten, Klamotten, Diamanten, ein Flug zum Mond, ein Rendezvous mit Michael Fassbender, Klarheit über den Google Algorithmus, Weltfrieden. Was kostet der? Die Stimme aus dem Off sagt, entscheide selbst. Weil Einheitspreise Schwachsinn sind und hier im Kiosk soll kein Schwachsinn sein. Auch keine Schnäppchen. Alles hat seinen Preis.

Wichtig ist noch: dieser Kiosk steht in einem Dorf an der Sieg. Die Sieg ist ein Fluss, keine Errungenschaft. Tritt oft über ihre Ufer und ist als Schwemmlandschaft sehr attraktiv. Wild. Das Unterbewusste vermutet in diesem Ort kein Ding wie diesen Kiosk und kann es deshalb nicht so schnell bagatellisieren. Es fährt sozusagen voll an die Wand. Ein passendes Bild für ein Tal entlang des Gewässers, in dem unzählige Kerzen am Straßenrand brennen, um der Toten zu gedenken, die hier ihr Leben ließen. Wie aus einer zu schnell zirkulierenden Zentrifuge werden sie an die Bäume geschmettert und sterben. Was mich auf den Gedanken bringt, dass hier ein Trauernder sein sprühendes Unwesen treibt. Tränenden Auges sprüht er Gedenken. Nennt es hier Kiosk. Zieht Aufmerksamkeit. Damit alle glauben hier gibt es was.

Ich fahre in die umliegenden Dörfer und finde weitere: Waschsalon, Bar, Parkhaus, Imbiss, Kita, Kino und Blumen.

Ein Schiff namens Silver

Auf meiner täglichen Tour am Rhein entlang kommt mir heute das Schiff Silver entgegen. Es liegt tief im braunen Hochwasser, blauer Bug silberne Schrift. Ein Blick und mein Gehirn denkt: You make my day. Ist zwar schon Nachmittag, aber egal, so wird er noch zum Sternchentag, dieser langweilige staubige Tag, an dem ich vor allem den Dreck wegwische, der aus den Wänden meiner Wohnung quillt.

silverAlles ist von einer feinen Schicht Steinstaub überzogen, ich atme ihn ein, ich esse ihn mit, ich fege ihn weg, ich spüle ihn ab. Aber er haftet wie ein Pflaster. Ist Materie aus altem Gemäuer. Wird jetzt zermahlen von Spezialwerkzeugen und auf mich gestreut. Ich werfe Wasser zurück. Die Handwerker sind freundlich und lachen über meine Manie. Überall hängen schwarze Filzlappen, die sollen den Staub schlucken. Tun sie aber nicht. Sie wehen im Durchzug und warten den Moment ab, in dem sich eine Tür öffnet, dann schütteln sie den Staub in den Raum. Wo ich stehe und huste.

Draußen ist es besser. Den Gedanken wieder rein zu müssen verkneife ich mir. Es stürmt. Dann kommt das Schiff Silver angefahren und zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht. Anna sagt schreib mal alles Gute auf an einem Tag. Und das jeden Tag. Hat der Tag drei gute Sachen machst du ein Sternchen in den Kalender. Dann wirst du glücklich. Ich mache das seit gestern. Da bin ich noch ungeübt und erkenne das Gute nicht. Heute ist es schon besser. Der Wind ist gut, der Abstand von der Baustelle ist gut, das Schiff ist gut. Sternchen.

Wenn der Fluss so hoch ist versinkt das Ufer. Unrat wird angeschwemmt. So nennen es die Einheimischen. Man könnte auch Müll sagen. Aber das stimmt nicht. Das meiste ist Holz. Millionen von kleinen Stöckchen, manche geformt und verwaschen wie kleine Schlangen. Große Äste und ganze Baumstämme fließen mississippimäßig flussabwärts. Bleiben hängen und liegen. Wälzen sich im Schlamm. Teppiche aus Treibholz mit trügerischer Oberfläche. Sieht aus wie fest und ist es nicht. Aber Enten kommen durch, auch Kormorane. Meine Augen bleiben an ihren öligen Federn hängen. Ich mag diese Vögel nicht. Finde keinen Gefallen an ihrer Art plötzlich zu verschwinden und nicht zu wissen wo sie wieder auftauchen.

Das Schiff Silver ist außer Sicht. Ich glaube es hatte Sand geladen. Eine kleine Gebirgskette aus Sandbergen ist vorbeigezogen. Mein Gehirn schaltet auf Analogiemodus und sendet Staub. Erinnert mich daran was mich zu Hause erwartet. Ein neues Zimmer in zwei Wochen. Gut oder.

wäre sie frei

Sie kauert im Keller. Kühl ist es, nicht kalt. Krümmt sich dort im schwarzen Staub wo früher die Kohlen lagen. Du kriegst mich nicht sagt sie. Ich kann sie kaum erkennen. Wer ist sie? Freiheit oder Angst. Wut. Liebe. Konzentriere ich mich auf die Kontur oder mache ich eine Kehrtwende. Keine Chance. Komm raus rufe ich.

wäre sie freiWäre sie die Freiheit würde ich mich freuen. Fast glaube ich sie zu fühlen. Ihr feines Flattern noch fern aber verheißungsvoll. Entfaltet vielleicht ihre Flügel und fliegt mit mir fort. In ein fernes Land das nur in meiner Fantasie funktioniert. Meine Flucht wäre folgenlos.

Wäre sie Angst wollte ich sie nicht. Auch nicht an dem Abend als sie allgegenwärtig ist. Die Angst macht mir angst. Am Anfang ist sie andeutungsweise harmlos, dann wachsen aus der Ahnung lange Schnüre wie von Angeln geworfen und haken sich fest. In einem Ausmaß, das lahm macht. Das einen Ausweg in den Abgrund führt.

Wäre sie Wut würde ich mich wehren. Will mich nicht ihrem Willen beugen. Sie wandert ja schon eine Weile mit mir. Wuchtet sich durchs Wasser wie ein schwerfälliger Wal während ich versuche zu entwischen. Die Wellen werfen mich wieder in die Welt. Noch mehr Wut als die, die ich schon habe, würde mich weichkochen. Widerlichen Wackelpudding aus mir machen. Suche das Weite, Wut.

Wäre sie Liebe finge mein Leben Feuer. Lebendiges Licht. Leuchtende Laterne. Eine lila Flamme wie in diesen Lampen aus längst verlorenen Legenden. Ich lenkte sie langsam aus dem Staub in ein liebliches Land. Die Leute lachen wenn sie die Liebe erblicken. Erinnern sich an Leidenschaft, rosa Luft und verträumte Augenlider. Will sie nicht links liegen lassen. Los! Lieber alles andere verlieren, aber nicht die Liebe.

Ich nähere mich der schwarzen Gestalt. Es ist nur ein Schatten.

Wieder im Käfig gelandet

KäfigGegen das Licht sieht sie aus wie eine schwarze Lilie. Schößchen aus Stoff in der Taille. Lange gerade Beine und hohe Stiefel wie Trinity in Matrix. Mindestens einsachtzig. Aber die tief stehende Sonne wirft lange Schatten. In Wahrheit und in der Nähe ist sie kaum größer als ich.

Wenn ich mich jetzt nicht irre, ist sie eine Figur aus der Vergangenheit und mein Film ist ein Traum. Ich hätte sie gerne als Freundin gehabt. Sie ist interessant und intelligent. Und schön. Schön wie ich das empfinde, also in dieser androgynen Art des Ausdrucks, in dem Zweifel keimen können wenn man sie zulässt. Ich habe keine. Hatte nie welche.

Als ich klein war bin ich fast gestorben, wenn mich eine andere Kleine abgelehnt hat. Plötzlich nicht mehr mit mir spielen wollte. Kommst du raus? Nein. Habe es nicht verstanden. Verstehe es bis heute nicht. Dieses spontane Sich Abwenden. Diese miese Tour sich über das gewonnene Vertrauen hinwegzusetzen. Ich kann das nicht verwinden. Oder überwinden. Nur den Schmerz fühlen, der sich ein Loch in die Gegenwart bohrt.

In der Nähe sehe ich ihren flackernden Blick. Sie ist nervös und versucht es zu verbergen. Sie ist gefangen in ihren mühevoll konstruierten Konventionen und weiß das, weil sie sich schon früher freiwillig in einen goldenen Käfig eingesperrt hat. Bis zum Ausbruch, der keiner war, sondern ein geordneter Auszug des Vögelchens, das so dringend seine Freiheit sucht und doch wieder im Käfig landet. Aus den Krallen zurück unter die Fittiche. Für eine Zeit, die kurz oder lange dauert. Aber enden wird. Im Käfig gekreuzigt für einen klitzekleinen Gegenwert.

Aber was weiß ich schon. Betrachte sie nur aus der Distanz. Bin nicht drin im Gewimmel. Kenne nicht die Gewissheit ganz dazu zu gehören. Will sie auch nicht. Manche G-Wörter machen mich schwach. Gewissheit. Geborgenheit. Gemeinsamkeit. Mache stark. Gerechtigkeit. Größe. Gier.

So sentimental. Meine Sinne unsicher was sie mir senden. Ich sehne mich. Soviel ist sicher. Nach einer Möglichkeit, deren Wahrscheinlichkeit ich nicht einschätzen kann. Wenn ich aufwache heißt das noch lange nicht, dass da kein Film mehr ist.