#VerschämteLektüre

Sonst schreibe ich hier ja nicht über das was ich lese und schon gar nicht über das was ich lese, was keine/r wissen soll, weil ihr ein gewisser Peinlichfaktor anhaftet, der direkt aus dem Bildungsbürgertum kommt und seit jeher Maßstäbe gesetzt hat.

Aber: Getriggert von Drittgedanke und Sätze & Schätze möchte ich vorstellen, was meine dunkle Seele bewegt, wenn niemand hinguckt. Ist jetzt leider englischsprachige Trivia. Wie soll ich das erklären? Schund im Original ist intellektuell noch wegen der Sprache verwertbar? Nö. Ich liebe es einfach, mich durch diese Wälzer zu lesen, die Wörter nachzuschauen, die einen schönen Klang haben bzw. deren Sinn ich nicht verstehe.

First: John Irving

LastNightTwistedRiver CiderHouseRules In_One_Person_(John_Irving_novel)_coverAn erster Stelle steht seit vielen Jahren John Irving. Kennen alle. Ist auch einige Male prominent verfilmt worden, zum Beispiel The Hotel New Hampshire mit Jodie Foster oder Cider House Rules mit dem frei übersetzten Titel Gottes Werk und Teufels Beitrag mit Tobey Maguire, Michael Caine und Charlize Theron.

Mein Lieblingsbuch von John Irving ist In One Person und während ich dies schreibe, habe ich Gänsehaut nur aus der Erinnerung an das Gelesene. Eigenen Angaben zufolge hat John Irving das Buch aus dem Gedanken heraus „Was wäre wenn?“ verfasst. Lächel. Die Geschichte handelt von Billy, einem bisexuellen Schriftsteller, der in den fünfziger Jahren in einer nordamerikanischen Kleinstadt aufwächst, wo er auf die Bibliothekarin Miss Frost trifft. Miss Frost war früher eine Lokalberühmtheit in der männlichen Ringermannschaft, ja genau, ein Mann. Billy verliebt sich fortan in die „falschen Leute“, also crushes on the wrong people, was sich viel besser anhört und was ich von mir selbst ganz gut kenne. Da bin ich auch nicht alleine, ich kenne viele Leute, die sich wiederholt falsch verlieben und wie ich ziemlich darunter leiden. Bei mir liegt das an den Projektionen, die mir mein Gehirn auf die innere Leinwand schickt und ich höre es schon wieder kichern, wenn ich auf seine alten Tricks hereinfalle.

Beim Buch Last Night in Twisted River muss ich am Ende weinen, obwohl ich es schon kenne. So ein Happy End gibt es nicht ein zweites Mal, und so unerwartet. Meine ganze romantisch verkitschte Fantasie kommt da auf ihre Kosten. Zuvor hat ein alleinerziehender Koch mit seinem Sohn in der kanadischen Holzfällerszene ums Überleben gekämpft, der Sohn wird Schriftsteller und sein Leben verläuft wie in einem seiner Bücher.

Second: Dan Simmons

blackhills Terror_simmons Crook_factory_bookcoverVor einiger Zeit habe ich Black Hills von Dan Simmons in die Finger gekriegt. Dan Simmons ist ein US-amerikanischer Bestseller-Autor aus der Ecke Stephen King. Er schreibt Fantasy, Science Fiction und Horror, aber auch historische Romane mit Fantasy- und Horroranteilen, zum Beispiel in The Terror über die Franklin-Expedition 1845 auf der Suche nach der Nordwestpassage. Wer wie ich schon als Kind Expeditionsbücher verschlungen hat, wird diese Geschichte lieben. Franklin hat die Nordwestpassage nicht bezwungen. Er hat nach unbeschreiblichen Qualen und zwei eisig kalten Wintern, in denen die See, in die die beiden Expeditionsschiffe HMS Terror und HMS Erebus hineingefroren sind, nicht auftaut, mit seiner Mannschaft nur den Tod gefunden.

In Black Hills beschreibt Dan Simmons aus sehr ungewöhnlicher Perspektive das ganze Drama der Vernichtung der First Nation, also der Indianer, durch die Weißen. Seine Hauptfigur Paha Sapa, das bedeutet Black Hills, die wiederum sind die heiligen Berge der Sioux, versucht am Ende des Buchs, über die Schatten seines Lebens zu springen und als Ureinwohner einen Anschlag auf die sich gerade im Bau befindlichen Präsidentenköpfe am Mount Rushmore zu verüben. Das Buch hat mich sehr berührt, weil es den aussichtslosen Kampf der First Nation in eine sehr persönliche Geschichte verpackt und dem Protagonisten Paha Sapa von Anfang bis Ende alle Sympathien schenkt.

The Crook Factory von Dan Simmons handelt von Ernest Hemingway, während er 1942 auf Kuba einen kleinen Spionagering aufzieht. Die Geschichte basiert auf historischen Fakten, viel FBI-Material und ist so absurd unwahrscheinlich, wie es oft Geschichten sind, die auf einer wahren Begebenheit beruhen. Eine kleine Episode von Hemingways Leben aus der James-Bond-Perspektive kennen zu lernen, ist sehr amüsant, spannend und hochgradig unterhaltend. Dan Simmons zeichnet den raubeinigen Schriftsteller in bekannten Bildern: auf seinem Boot beim Hochseefischen, in seiner Hacienda beim Galadiner mit Gary Cooper und Ingrid Bergmann, beim Besuch der einheimischen Cafés in Havanna. Tropisches Klima, eine Menge Alkohol und Verfolgungsbootsfahrten in der Karibik, was will ich mehr?

Das war´s jetzt mit dem Outen. Ich werde mich nun wieder dem zuwenden, was aus diesen Lektüren an eigenen Texten springt. Hat aber Spaß gemacht, mal über das Verschämte zu schreiben und zu wissen: es gibt einen Ort dafür, unter #Verschämte Lektüre bei Sätze & Schätze und bei mir im Herzen. Schmacht.

Ganz anders

ganz anders2Mitten im Wald eine blonde Frau. Sie stolpert durch das raschelnde Laub, hier ist kein Weg. Wie hat sie mich gesehen. Meine freie Hand greift nach dem Messer. Die kalte Klinge auf meiner Haut. Die Frau ruft Hallo? Wo ist mein Unsichtbarmantel. Ach ja ich habe keinen. Auch kein Mitri Kettenhemd. Meine Masche ist neben den Wegen durch den Wald zu gehen. Damit mich niemand sieht. Und jetzt kommt die da. Meine Tarnung ist Makulatur.

Als sie über einen Ast fällt frage ich was ist. Sie hat sich verlaufen, das ist alles. Will dorthin wo sie gerade herkommt. Ihr Atem riecht nach Alkohol, doch ihr Blick ist klar. Er folgt meinem ausgestreckten Arm. Dort über den Acker, dann den Anger hoch. Sie nickt dankbar, geht. In ihrem Haar Blätter. Hinter den Bäumen geht die Sonne unter. Das letzte Gold auf den Stämmen der Buchen. Mein Messer blitzt. Schneidet in einen späten Apfel, süß läuft der Saft heraus.

Die Frau läuft im Kreis. Schon ist sie wieder in der Lichtung. Nicht dort wo sie will. Ihre Orientierung ist hin. Meine nicht. Ich gehe zu ihr. In ihren Augen erhasche ich einen Blick auf ihre Seele. Sie ist nicht wie ich. Ihre Liebe ist wie ein Dieb, sie stiehlt sich was sie kriegen kann. Gierig fiebert sie auf die nächste Gelegenheit. Ich führe sie zur Markierung und lasse sie die Farben sagen. Rot Weiß noch drei Kilometer. Immer den Weg entlang. Sie geht. Gehorcht mir wie ein Kind. Ist gewohnt zu tun was man ihr sagt. Ganz anders als ich.

Ich stehe mit meinem Messer auf dem Weg und sehe ihr nach. Schiebe sie mit meinem Willen weg von mir. Will sie nicht wiedersehen. Dieses Mal kommt sie nicht wieder.

Erleichtert bleibe ich eine Weile. Warte auf die Dämmerung. Im Unterholz scharren die Schweine. Sie werden kommen sobald ich gehe. Mit ihren Rüsseln nach Eicheln wühlen. Die Erde zu ihrer erklären. Es ist ihre. Jedenfalls mehr als meine.

Als ich fast im Tal bin höre ich sie. Es sind viele. Ihre borstigen Körper schleifen an den Büschen und sie grunzen wie es sich gehört. Wilde Schweine. Große und kleine. Nicht meine Welt. Bin schließlich keine Jägerin. Nur eine Waldläuferin abseits der Wege.

Beschreibe Begierde

Beschreibe Begierde sagt Anna. Begierde oder Begehren frage ich. Egal. Warum brauchst du eine Beschreibung, willst du ein Gefühl identifizieren? Ja komm, stell sie mir an die Wand, ich bin hinter dem Spiegel und werde erkennen, welches das Richtige ist. Bitte.

Xenia Hausner: TOD MÄDCHEN
Xenia Hausner: TOD MÄDCHEN

Scheint ein dringender Fall zu sein. Ich weiß nicht worauf Anna hinauswill. Doch ich spiele mit. Okay, beginne ich tutorial like, also am Anfang steht die Sehnsucht. Links oder rechts fragt Anna verwirrt. Sie kann die Sehnsucht nicht sehen? Links, wie der Anfang eines Satzes, jedenfalls hier bei uns in Mittelerde scherze ich, doch Anna ist nicht zum Spaßen aufgelegt. Es ist wichtig, dass du die Sehnsucht spürst, das Dehnen der Sehnen in deinem Innern. Sie ziehen sich zusammen zu einem Punkt, auf dem die Begierde und das Begehren zusammenkommen. Die Sehnsucht kann so sehr ziehen dass es weh tut. Der Schmerz kann zur Sucht werden. Warum? Weil du dich ihm nicht entziehen kannst. Du musst ihn durchstehen, egal was aus der Sehnsucht wird. Kannst du sie jetzt erkennen?

Anna nickt. Ihr gequälter Ausdruck weicht einem nachdenklichen. Direkt neben der Sehnsucht ist das Begehren erkläre ich im Stil der Kamasutra-Oberlehrerin. Warum weiß ich das eigentlich so gut. Egal. Also das Begehren ist der Sehnsucht sehr ähnlich, bezieht sich aber mehr auf den Körper. Anna unterbricht. Kommen nun die Körpersachen, die will ich nicht wissen. Ich will nur wissen was davor ist, vor dem Körper. Warum? Weil. Anna ist plötzlich in ihrem Ich-bin-ein-trotziges-Mädchen-Stadium. Beantworte doch einfach meine Frage, ich habe dich nicht um Interpretation gebeten. Ich interpretiere nicht, Anna. Es macht keinen Sinn, bei Begehren Körper und Kopf zu trennen.

Ich will aber nicht körperlich begehren, ruft Anna. In einem Café mit lauter Leuten um uns herum ist das ein lustiger Satz. Echt nicht? fragt ein Typ vom Nachbartisch. Anna ignoriert ihn und flüstert: Ich will, dass die Sehnsucht in meinem Kopf bleibt. Das geht nicht raune ich zurück, sie ist kein Hirngespinst, sie klebt an jedem einzelnen verdammten Blutkörperchen und strömt durch deinen Körper, ob du es willst oder nicht. Sie webt sich um deine Organe und kocht sie weich genauso wie deine Gelenke, weiche Knie, weicher Blick, alles weich und rosa, verstehst du?

Anna lehnt sich zurück. Der von nebenan schaut immer noch. Sie lächelt ihn an. Er lächelt zurück. War´s das frage ich.

Das Licht kommt jetzt von Norden

So hieß vor einigen Jahren eine Ausstellung skandinavischer Maler und das nordische Licht verzauberte alle, die in seinen Bann gerieten. Auch mich. Seitdem bin ich irgendwie anders. Ich versuche das mal zu erklären.

LichtnordenDie Verzauberung dringt durch meine Augen in die Gedanken, die ich gerade denke. Ich stehe vor einem Bild. Das Bild zeigt eine Frau mit heller Haut. Sehr hell, fast weiß. So eine Haut habe ich noch nie gesehen oder berührt. Vielleicht gibt es im Norden Menschen mit dieser Haut denke ich gerade als die Verzauberung mich trifft. Also nichts besonders Ausgewöhnliches, Intelligentes oder Originelles. Mein gut erzogenes Gehirn denkt einfach angemessen zur Ausstellung, stellt gewöhnliche Assoziationen her und kramt etwas träge nach Analogien aus der Vergangenheit. Es gibt mir eine Erinnerung aus Dänemark. Einen leeren Strand mit Heckenrosen, hinter denen sich die Menschen vor dem Wind geschützt sonnen. Die Rosen wachsen auf Sand und ihre Dornen sind sehr spitz. Mehrere Male habe ich in Dänemark Dornen aus meinem Daumen gedrückt.

Ich sehe die Dänen mit ihren hellen Haaren und ihrem freundlichen Blick. Ich bemerke die Sommersprossen auf ihren Schultern. Aber niemand hat diesen Teint wie hier die Frau auf dem Bild. Ein unsichtbarer Stahl aus Licht baut sich zwischen uns auf. Er ist erst ganz dünn wie eine Schnur aus Rauch, wird dann zu einer filigranen Spirale aus Hanf und schließlich ist er dick wie eine Wand und genauso stabil. In dem Moment überlege ich nicht. Ich ziehe einfach den Strang hinter mir her. Aus der Ausstellung raus auf die Straße. Keiner guckt komisch.

Das liegt daran, dass nur ich ihn sehen und fühlen kann. Er knebelt mich nicht, er schränkt mich nicht in meiner Bewegungsfreiheit ein, er ist nur einfach eine weitere Windung in meinem Hirn. Dieses neue Hindernis wirft andere Schatten auf die Eigenaktivität meiner Neuronen. Sie erzeugen jetzt weißes Licht, die Summe aller Farben. Ein angenehmer Nebeneffekt ist außerdem, dass ich glücklich bin. Das weiße Licht, die weiße Haut, alles ohne Sonne, machen meine Seele froh. Ich weiß dass das verrückt klingt. Genau so ist es aber gewesen. Ist es bis heute.

Ein wenig von diesem Licht reicht und ich werde zum Weichei. Bin ganz verzückt vor Wonne. Jedes Mal ein kleines Wunder.

Es schmerzt mich sehr wieder loszulassen. Für diese Geste habe ich lange geübt. Am liebsten würde ich mich aufkleben und es atmen. Aber ich kann mich wieder lösen und bin einigermaßen stolz darauf. Niemand will nicht nicht wieder losgelassen werden. Außer von Sachen die sonst niemand sieht. So wie ich von diesem nordischen Licht. Es darf in mir sein. Manchmal wundern sich welche warum ich mich so vertiefe. Doch dann ist es ja auch wieder normal. Jede und jeder vertieft sich mal. Taucht ein und wieder auf. Wie ein Kind, das spielt. Taucht in eine andere Welt und wird dann zum Essen gerufen. Tut so als säße es am Tisch und träumt doch seinen Traum weiter.

Wo fängt der Norden an? Na hier, direkt einen Meter nördlich von mir.

Wild One

Huhn2Annas Zahnarzt sagt er ist ein Cowboy. Also was Schmerz angeht. Chicken, denke ich. Er macht vor meinem offenen Mund so etwas wie stilisierte Rauchzeichen, die sollen wohl heißen du kennst keinen Schmerz oder? Will er mir mit seinen spitzen Instrumenten Angst machen. Nein, da sitzt ein tiefer Schalk in seinen Augen. Den Zahnarzt habe ich wegen der Akupunktur gefragt. Für Anna. Aber wir reden nun nur noch über mich. Und über ihn. Und über uns. Unser Lächeln poliert er auf Hochglanz. Er kann das auf ganz verschiedene Arten.

Am Abend in der Bar sage ich, Anna ich war bei deinem Arzt. Er ist jetzt auch mein Arzt. Das Licht ist lila, der Keeper semiprofessionell, die Drinks mittelmäßig. Das lila Licht bleicht unsere Haut. Kleine Spots lassen unsere Zähne blitzen. Wir strahlen uns an. Er ist gut sage ich du kannst ihm vertrauen, ich habe die Schmerznummer bei ihm abgezogen. Er steht voll drauf. Sie sind alle irgendwie gleich sagt Anna. Nein das stimmt nicht, entgegne ich.

wildoneOkay, dann erzähl mir vom Cowboy. Er macht einen auf dicke Hose und hat dabei die ganze Zeit Schiss, dass ihn eine Kugel ins Herz trifft. Parkt einen aufgemotzten Pickup vor der Praxis und steht auf Country. Ich sage Anna nicht dass ich voll darauf abfahre. Dass ich seinem Blick folge als ich mit meinen Westernstiefeln in das Behandlungszimmer poltere, ooops. Nicht ganz purer Zufall, dass ich sie trage. Sie geben mir schmerzfreies Selbstbewusstsein. Ich konnte ja nicht ahnen, dass der Zahnarzt ein Cowboy ist und mir das auch noch offenbart. Die Stiefel haben ihn glatt umgehauen. Ungläubig schaut er von ihren Spitzen in mein Antlitz. Forscht nach bekanntem Schema. Findet es nicht. Und dann noch die Masche mit schmerzfrei. Hat ihn voll erwischt. Und sagt er sei der Cowboy, ich Steinfeder oder so ähnlich. Aber erst später, als er seinen Kittel nicht mehr trägt und ich die massive Silberschnalle an seinem Gürtel sehe.

Was wird das jetzt, fragt Anna, eine Liebesgeschichte? Du spannst mir den Zahnarzt aus? Aber sie sagt das nur, weil es als Pferdeanalogie gut in den Cowboy-Kontext passt. Ich überlege oder tue so. Das heißt ich schlürfe träge an meinem schlechten Cocktail und denke ich würde das Glas am liebsten vor dem Keeper auf die Bar knallen und sagen, Bourbon, pur, ohne Eis. Mein Gehirn spult Klischees ab. Zu Anna sage ich, nö, glaub nicht. Die so einen auf Macker machen sind meistens ganz weich. Was Wildes wäre gut. Was weiches Wildes.