Farbe Feuer Kraft

DracheDas Fest fängt an und der Mann trinkt. Alkohol mischt sich in seine Sinne. Vor die Augen setzen sich Schleier aus explodierender Luft. Auf seiner Haut brennen Funken. In den Ohren dröhnen Geräusche. Sein Gehirn denkt in Schleifen: Farbe Feuer Kraft, Farbe Feuer Kraft. Aus diesen Worten macht er ein Mantra und die Melodie ihrer Wiederholung bewegt sich wie Wind.

Singend geht er durch Silvester. In der Gegenwart des Neuen Jahres angekommen schwenkt er seine Flasche und geht zum Fluss. Dort brennen in Tonnen Gestänke aus Plastik. Das Ufer ist ein Meer aus Qualm. Was verbrennt ihr hier? Sachen, die kein Glück bringen. Er schaut in die Tonnen und erkennt nix. Alles nur Schmelz. Melasse. Magma. Er torkelt weiter und an einer der Tonnen trifft er mich. Ich stehe hier und tanze. Er singt Farbe Feuer Kraft. Ich höre zu, schaue ihn an und lächle.

Es kann eine Geschichte aus uns werden. Das Uns glimmt noch, würde sich aber zur Flamme verändern. Glaube ich, die ich in dieser Nacht die Zukunft sehe wie ich den Sand an den Füßen spüre. Er müsste mal mehr Wörter sagen. Mehr als Farbe Feuer Kraft. Oder reicht das aus für einen Weg? Wo hat er diese Worte her? Seine Worte erinnern mich an meine: Mut Morgentau Gelegenheit. Darf ich mich vorstellen? Mut Morgentau Gelegenheit. Für diese Nacht reicht das.

Jede/r hat drei Wörter. Die können sich ändern. Von Zeit zu Zeit. Ansonsten stiften sie Ruhe und Stabilität. Den Mann von der Tonne nenne ich FFK. Er ruft mich MMG. Okay, das ist nicht was Poeten tun. Pöbel hätte uns der Adel genannt. Die um die Tonne stehen.

Bei Sonnenaufgang ist das Neue Jahr da. Wie eine Ware wartet es auf Verwertung. Es hat Kleber mit der Aufschrift: Nutze mich! Ein Imperativ zum Jahresanfang. Mir kommt das komisch vor. Ich will lieber eine Gelegenheit ergreifen. Das mit der Zeit ist ja eher Zufall. Kannst du mir folgen, frage ich FFK. Er nickt und folgt mir.

Im Dickicht ist Gemeinsamkeit

im Wald ist er echtIm Wald ist er echt. Als würde er sich aus einer Umhüllung winden wie eine Schlange aus ihrer Haut. Seine Haut bleibt grau und knittrig zurück, als wir den Einstieg erreichen. Ich nenne es Einstieg, weil es wie eine Tür in eine andere Welt ist. Trichterförmig saugt sie uns ein. Schmaler Pfad, runde abwärtsleitende Optik. Tiefes Einatmen unserer Lungen und die Luft in uns trägt uns nach oben auf den Berg. Schön wär`s. Das Luftanhalten dauert nur einige Minuten, in denen die Welten sich ändern. Seine Welt wird klar, ich kann alles sehen. Die Nebel in seinen Augen sind weg. Der Abdruck seiner Krawatte: weg. Der hervorgeschobene Kiefer: wieder da wo er eigentlich ist. Die stolze Brust: fort. Wir keuchen bergauf.

Du siehst anders aus, sagt er zu mir. Also auch ich. Ich lächle und sage du auch. Die Gemeinsamkeit im Andersaussehen ist wie eine Wärme zwischen uns. Sie hat eine Temperatur. Sie kann hitzig werden, wenn wir sie lassen. Jetzt nicht. Wir wollen den Weg gehen.

Auf dem Weg sind Spuren. Er sagt er kann sie lesen. Sie erzählen die eben vergangene Geschichte des Menschen, der vor uns lief. Schleifender Schuh. Nervöse Hand, die Äste knickt. Ein geknickter Zweig nach dem anderen. Eine Kippe auf dem Boden. Was will dieser Mensch im Wald? Du sagst, der Wald hat eine heilende Wirkung. Für so viele. Nicht nur für uns. Wir suchen im Wald das Gemeinsame, das sich sonst versteckt. Im Dickicht finden wir es. Was für eine Ironie. Unser schönes Zuhause ist übersichtlich. Viel teuer gemieteter Platz. Zu teuer zum Kaufen. Aber den Raum um uns mieten geht. In diesem Raum verlieren wir uns. Finden uns dann im Wald wieder. Wir können nicht im Wald wohnen.

Ich würde gerne im Wald wohnen, sage ich. Wir können nicht im Wald wohnen, sagt er. Ich weiß. Traurigkeit, die nicht von Dauer ist. Bedauern, das nur kurz anhält. Ärger über die Höhe der Miete. Aber wo sollen wir sonst hin. Von diesem teuer gemieteten Raum können wir direkt in den Wald laufen. Du versuchst zu scherzen: Wir könnten eine Fototapete kleben. Einen Laubwald wie hier. Wir schieben das Bett in das künstliche Laub und lassen die Vogelgezwitscherkassette laufen. Du sagst immer Kassette. Echte Bänder von früher. Das Zwitschern hast du selbst aufgenommen. Hast still auf dem warmen Moos gelegen, bis die Vögel dich vergessen haben und zwitschern als wärst du nicht da. Glaubst du zumindest. Kannst du nicht wissen. Das Zwitschern ist laut und vielfältig. Du kennst die Vögel nicht. Ich kenne die Vögel nicht. Kann Vogelstimmen nicht den Vögeln zuordnen. Du auch nicht. Das macht nix, sagst du. Nö, das macht nix. Hauptsache, sie sind da.

Wir kleben die Tapete. Aber wir finden uns nicht. Der Künstliche Wald ist tot. Ist die Kassette zu Ende und machen wir das Licht aus, sind da nur Mauern. Müssen weiter in den Wald. Unter Woche ist das schwer. Das schaffen wir nicht. Da sind die Jobs und die Masken. Mit der Maske in den Wald zu gehen ist wie schwimmen in einem Bärenkostüm. Wir würden untergehen. Vom Gewicht der Künstlichkeit in die Tiefe gezogen. Von der Fake Authentizität im Ilex gefangen. Darauf legen wir es nicht an. Gefangen sind wir zu Hause. Im Wald sind wir frei. Das ist doch gut. Wer weiß so was schon von sich. Manche sagen, alle Geschichten enden zu Hause. Unsere nicht. Unsere endet im Wald. Der Wald ist unser Zuhause.

Schneeeule

Seit längerem lese ich den Blog von piksyn, Jana Pikora aus Hamburg, ihresgleichen Synästhetikerin, die ihre Wahrnehmungen auf Feinste zu beschreiben weiß und dabei auch neue Wörter, also Sprache schafft. Es lohnt sich, einmal in ihren Blog hineinzulesen, das ist wie hineinschweben in eine unbekannte Farb- und Phänomenwelt.

Der synästhetische Blick auf meinen Namen

Das 4. Mal hat piksyn nun eine Namens-Aktionswoche angeboten: Das heißt, ich schicke ihr meinen Wunsch, nämlich meinen Namen mit ihren Augen zu sehen und zu beschreiben und wie eine gute Fee erfüllt sie diesen Wunsch.

Hier das Ergebnis (Zitat):

SchneeeulePeggi ist ein weißhellblauer Name. Ein schwarzer Bubikopf umwickelt das P – und das doppelte „g“ ist ein Gesicht mit zwei eulenfreundlichen Augen. Peggi ist eines jener Wörter, die Schnee im Mund erzeugen, wenn ich den Namen einige Male hintereinander flüstere. Peggipeggipeggipeggi. Das „i“ hat einen kleinen Kerzenlichtschein um den Punkt herum.

Das ist bezaubernd. Vor meinen geistigen Auge plustert sich eine Schneeeule auf, mit 4(!) e im Namen, ziemlich abgedreht. Meine bisherige selfmade Tier-Assoziation ist ja eher ein im Schnee scharrendes Schaf als eine vom Boden abgehobene Kreatur. Das neue Bild brennt sich gerade in mein Gehirn und macht mächtig Wind für genügend Platz. Könnte ein Schneesturm werden. Macht aber nichts, da ist ja noch der Kerzenschein.

Außerdem beschrieben: Alexander, Runa, Mascha, Katharina, Tine, Donate, Marja und Petra.

All diese Namen sollten einmal zusammen in die Sommerfrische fahren. Dort könnten sie die äußerst mondänen Wörter Plauderton und Moralapostel treffen und mit ihnen zusammen Monaco unsicher machen.” 

Schöne Vorstellung. Danke Jana.

Falllinie

RheinSiegSteig1

Mit ihm durch den Wald zu gehen heißt die Wege verlassen. Den weichen Boden bergauf steigen, ausrutschen, den schweren Duft der Erde zu atmen. Wir reden nicht, verständigen uns ohne Worte. Einmal in Richtung Hang nicken heißt: Dort hoch, aber direkt, keine Umwege. Auf gerader Linie zum Aussichtspunkt. Im Dickicht zeichnen sich Spuren ab, von Tieren oder von anderen, die so sind wie wir. Dieses tiefe Lächeln in seinen Augen, diese Abenteuerlust, die Verwegenheit. Wie ein Spiegel.

Keuchend klettern wir die Falllinie hoch, Klumpen von Erdkrumen kullern nach unten. Unsere Gesichter durchtrennen unsichtbar gespannte Spinnfäden, wir wischen sie weg. Oben hoffen wir auf eine Belohnung – einen grandiosen Blick, eine Einsamkeit für unsere Gefühle. Für die Umarmung. Der Wind kühlt die verkrampften Muskeln, es raschelt im Laub. Ein Ast fällt herab und erschreckt uns, kurze Panik in den Augen. Der hätte dich treffen können, nur eine Minute früher. Hat er aber nicht. Er lächelt. Keine Angst, mir passiert nichts. Denke an den Schrank. Abends knackt er. Du erschrickst jedes Mal. Adrenalin fließt. Ein Gespenst? Ja aber ein liebes. Das zwinkert uns zu und knackt dann weiter im alten Holz, wie um uns daran zu erinnern es nicht zu vergessen. Auf dem Rückweg halten wir uns an die Markierungen. Zu müde für Mut. Zu träge für Tatkraft. Den Zeichen folgen, die nach Hause führen. Mehr nicht.

RheinSiegSteig2

Pflanzen filmen

 Noch lieber als Tiere filme ich Pflanzen. Sie haben den Vorteil, dass sie nicht weglaufen, herumzappeln, beißen oder stechen, wenn man sich ihnen nähert.

Auch seltene Pflanzengesellschaften sind mittlerweile daran gewöhnt, dass man sie vor die Linse nimmt. Meistens von der Fotografie. Ich liebe diese Bilder.

Für den Film haben Blumen, Bäume und das gängige Grünzeug allerdings den Nachteil, dass sie oft zu groß sind oder zu unbewegt. Wer will schon einen Film von einem Kaktus machen/sehen, der bewegungslos in der Wüste steht. Nicht einmal Zeitrafferaufnahmen können da viel rausholen. Ein wenig wechselnde Helligkeit weil sich der Sonnenstand verändert, das ist alles. In der heimischen Flora sind es Koniferen, die kein Flair haben, außerdem riechen sie unangenehm und ich will schnell weiter, bevor mich der Duft von Friedhof umweht.

Pflanzen verändern in der Regel nicht ihre Position, ich kann sie nicht stellen, ins rechte Licht zum Beispiel. Das mit dem Fluchtpunkt ist auch nicht so einfach. Sie machen keine lustigen Dinge wie herumtollen oder summen. Ich muss sie nehmen wie sie sind, wenn ich nicht ewig darauf warten will, dass der Wind von der anderen Seite kommt oder sich endlich der Himmel klärt. Passionierte Filmerinnen machen das. Sie sitzen in der Hecke und warten auf Regen, weil die Tropfen zwischen 18 und 18.45 Uhr das Licht auf optimal prismatische Weise spiegeln. Da sind dann kleine Regenbogen, Sternenglanz- und Sonneneruptionsminiaturen auf dem Film. Dafür lohnt es sich. Da ist nichts manipuliert. Alles natürliche Tricks. Geschulte Guckerinnen wissen das, taggen mit #allnatural und drücken gefällt mir.