Wahnsinnswasser

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In einer Gegend zu wohnen, in der alle Wasser aus dem Wahnbach trinken und in der Wahner Heide wandern, prägt die Wahrnehmung. Es gibt noch mehr Landmarken mit diesem Namen und so bahnt sich der Wahn einen angestammten Platz im regionalkollekiven (Unter-)Bewusstsein.

Wahnbach4Manche, wenn nicht fast alle, also fast eine Million Menschen, wissen nicht woher das Wasser aus ihrem Hahn kommt und nachgefragt kennt kaum jemand den Wahnbach, einen 29,4 km langen Wiesen- und Waldbach, der 1958 mit der Wahnbachtalsperre endgültig dazu bestimmt wurde, das Tal, durch das er fließt, mit seinem Bachwasser zu füllen und die Bevölkerung in einem Umkreis von zig Kilometern damit zu versorgen. Auch in Königswinter trinken wir das qualitativ international hoch angesehene Wahnwasser ohne zu ahnen, dass jedes Jahr aus der ganzen Welt Wasserexpert/innen anreisen, um einen professionellen Blick auf die Anlagen zu werfen, die dieses Meisterwerk produzieren. Das Wasser ist ganz weich, praktisch kalkfrei und supersauber. Der reine Wahnsinn. Ganz normal.

Wahnbach2Der Stausee bietet neben den technischen Feinheiten einen wunderschönen Anblick. Von der Tallsperre aus zieht er sich gen Ost in einzelne Täler, jetzt Buchten mit kristallklarem grünen Wasser. Würden nicht Eichen, Buchen und sonstige mitteleuropäische Flora die Ufer zäumen käme hier im Sommer leicht ein Karibikfeeling auf. Doch natürlich darf hier im Trinkwasser niemand schwimmen, von Enten und Gänsen mal abgesehen. Aber Gucken darf man und davon wird man satt: Die Idylle ist so bemerkenswert, dass meinem Gehirn die vielen Superlative schon peinlich sind: Geübt im Singsang sprachlichen Jonglierens denkt es je nach Blickwinkel Schweiz, Schweden und Schottland. Fantastisch.

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abgefahren

Ein alter Zug fährt durch einen alten Wald. Ein Laubwald bei Linz. Buchen, Erlen, Ulmen, Eichen. Die Schienen führen durch Schluchten und auf den Schotter spucke ich Kirschkerne. Das Knacken wenn sie landen höre ich nicht weil die Bahn so laut quietscht. Früher ritt hier eine Königin, später war es eine Gräfin im offenen Wagen, der Seidenschal lang im Fahrtwind. Dann kommt die Brauereibesitzerin und baut mitten in die Wildnis einen Laden mit der Aufschrift Colonialwaren. Da hängen die alten Sachen aus ihrer Küche drin. Schöpfkellen, Wasserkrüge und Tonschüsseln. Fünfundzwanzig verrostete Bügeleisen.

Die Brauereibesitzerin ist eine stolze Frau mit einer italienischen Designerküche. Rote Lackflächen und schwarzglitzernde Arbeitsplatten aus Granit. Sie scheucht mich aus ihrem Privatbereich. Mustert mich als wäre ich mittellos.Dabei wollte ich nur mal gucken. Wo sie doch sonst alles eitel zur Schau stellt. Alte Autos, altes Eisen, kalte Öfen. Das sollen die Leute kaufen. Ich nicht. Ich kaufe keinen ausrangierten Krempel von einer gierigen Frau. Das Bier das sie braut ist braun. Helles hat sie auch. Wie die Frau durch die Schankstube schreitet kommt sie mir vor wie eine Colonalistin, haha, genau was sie will. Sie hat hier ihren eigenen kleinen Landstrich annektiert und mit ihrem Tüttelkram markiert. Hat es wohl nicht über den Ozean geschafft. Muss hier auftrumpfen. Am liebsten würde ich ihr ein Bein stellen. Aber ich muss gehen. Der Zug fährt gleich ab.