Save Our Ship

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Sieben Inseln in meinem Traum. So als wäre rund um das Siebengebirge alles Land geflutet und nur die Gipfel schauen noch heraus. Der Rhein ein Meer mit Strömung. Von der letzten Landzunge des Petersberg-Archipels blicke ich in Richtung Eifel. Die Kegel vulkanischen Ursprungs ragen auch noch aus dem Wasser, sind aber unerreichbar ohne Schiff.

Den Flussschiffern fehlt die Orientierung. Verwirrt fahren sie mit ihren Kähnen kreuz und quer. Ihre Ladung werfen sie über Bord. Was wollen sie mit schwerem Schrott. Den kauft niemand wenn alles schwimmen muss. Die Häfen sind hoffnungslos verloren. Das Boot allein wird sie zu reichen Männern machen. Sie transportieren Menschen, die sehnsüchtig auf den schimmernden Meeresboden gucken, wo ihre Autos versunken sind. Sie beugen sich nach unten zu ihren verlorenen Schätzen. Vor noch nicht so langer Zeit haben sie mit geneigtem Kopf auf ihre Mobiltelefone gestarrt, jetzt schauen sie wie gebannt ins Wasser. Als würde es von der Intensität ihres Blicks verdunsten. Tut es aber nicht.

Hier vor meiner Haustür: Sieben Inseln, die unter anderem nun Öl-, Löwen- und Dracheninsel heißen. Die Stenzelfelsen ein schroffes Riff. Aussichtspunkte, an die Brackwasser schwappt. Ich habe Glück, erstens weil das nur ein Traum ist und zweitens weil ich auf dem Petersberg zu Hause bin und dort ein Luxushotel steht. Die einzige bewohnte Insel die noch den Namen Berg verdient. Auf der Ölinsel steht ein kleines Haus, ein Einkehrhäuschen, deren Bewirtschafterin nachts ins Tal schlafen geht und das Wasser kam in der Nacht.

Das Fünfsternehotel ist ein Hochsicherheitshaus, das der Regierung gehört. Es rühmt sich etwas schamhaft das „Deutsche Camp David“. Peinlich. Ich schäme mich fremd für diese Bezeichnung. Bill Clinton ist hier mal zwischen den Videokameras im Wald gejoggt und danach haben sie Schilder hingestellt und den Weg Bill-Clinton-Pfad genannt. Für geübte Läuferinnen wie mich ist die Distanz ein Witz und als heilige Fußstapfen empfinde ich die längst verwischten Abdrücke von Clintons Nikeschuhen auch nicht. Außerdem stören mich die Kameras. Ich stelle mir vor, wie in einem kleinen unterirdischen Raum ein etwas schmuddeliger Sonderbeauftragter des Bundesnachrichtendiensts die Bildschirme betrachtet, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht und sich dann wieder der X-Box zuwendet. Es gibt geheime Gänge, die geflutet keinen Sinn mehr machen. Der Berg ist seit der Römerzeit unterwandert, es gibt Dutzende von Höhlen und dunkle in den Fels gehauene Wege.

Dass die hier U-Boote gebunkert haben, glaube ich nicht.

Als vor 883 Jahren der Ritter Walther der Einsiedler an das Rheinufer gespült wurde und er sich mühsam durch das Gestrüpp auf den Gipfel des Petersberg stieg, der damals noch Stromberg hieß, um sich umzuschauen, fand er die Grundmauern eines Ringwalls aus der Zeit von ca. 100 v. Chr., baute ein Haus darauf und sein gemütliches Feuer lockte Zisterziensermönche aus der Eifel an, die sich dort niederließen, aus dem Haus eine Kirche machten und den Ort hernach immer frommer, Kreuz-, Prozessions- und Bittwege errichteten, die heute noch erhalten sind. Damals war die große Flut eine biblische Geschichte, die in der Vergangenheit lag und mit deren Wiederholung die Mönche nicht so bald rechneten, weil sie auch noch nichts von der globalen Erwärmung gehört hatten. Sie hätten sich gewundert ob der Wasserlandschaft, die jetzt die Hohlwege hochdrückt.

Bald, sagt mir mein Gehirn, wird es hier ein Hauen und Stechen geben um die besten Plätze. So wie man es kennt aus den Endzeitszenarios. Die Drehbücher sind alle schon geschrieben. Die mit den Schiffen werden gewinnen. Dann weckt es mich mit einem Stromstoß aus dem Hochspannungszaun.

Ich wache auf mit tauber Haut. Es kribbelt in meinem Innern wie nach der Berührung mit einem aktiven Kuhweidendraht. Ein Dieselmotor tuckert leise, eigentlich ein vertrautes Geräusch ohne Anlass zur Sorge. Ich springe aus dem Bett und renne zum Fenster. Da ist es. Auf dem Rhein, wo es hingehört. Stromaufwärts. Niemand hätte meinen halb verschlafenen Hilferuf verstanden SOS Save Our Ship. Die Feuerwehr wäre angefahren, das Hauptquartier direkt um die Ecke. Sie hätten eine Menge Lärm gemacht und nur einen Traum gelöscht.

Amy

Amy

Sie sagt sie liebt es in der Wiese zu stehen und Gitarre zu spielen. Vorhin hat sie auch schon auf einem Baum gesessen, gespielt und gesungen und davor das Gleiche an einen Felsen gelehnt. Das steile Gestein steht im Siebengebirge und die Kletterer sind mit Sixpacks auf dem Weg zum Bouldern. Gutaussehende junge Männer mit blonden Pferdeschwanzhaaren und freundlichen Gesichtern.

Einer kommt ganz nah an uns vorbei wie wir da so zwischen dem roten Fingerhut und dem gelben Greiskraut in der Sonne posen und Kurzfilme drehen. Er schaut Amy an, denn so sieht sie aus, zumindest auf den ersten Blick und er denkt das auch das kann ich sehen, aber es ist meine Tochter mit der schwarzen Indianerinperücke aus meinem Fundus und sie trägt sehr roten Lippenstift und diese Sonnenbrille und eben die Gitarre. Er fragt uns ob wir ein Bier wollen.

Während die Grillen zirpen, die Bienen summen und von weit im Westen ein Gewitter heranrollt hocken wir mit dem Amy-Bewunderer im Gras und lassen die Flaschenböden aneinander knallen. Er sagt er kommt gerade aus den Staaten und dort schlagen sie zum Prosten die Hälse aneinander nicht die Böden. Mit Blick auf das Instrument, das versonnen von Insekten umzingelt und mit neugierigen Fühlern gescannt wird, fragt unser Sixpackman ob Amy denn vielleicht etwas spielen will. Sie hat diesen Song von PJ Harvey einstudiert, a place called home.

Wir hören das Lied und schauen die Felswand hoch auf die verkrüppelten Eichen, die sich an ihr festhalten. Der blonde Kletterer bedankt sich, schenkt uns noch ein Lächeln, bevor er sich zu seinem Platz aufmacht von dem er steigt. Der Himmel hat sich verdunkelt, Donner grollt und wir wollen schnell die Gitarre nach Hause bringen bevor hier der Regen runterkommt.

 

Stock Rose

ImageIrgendwie vermisst sie ihn. Sie hat ihn verlassen aber nicht vergessen. Hat dieses große Opfer gebracht und ist nicht belohnt worden. Von wem auch. Schicksal, lächerlich. Mittlerweile kommt sie sich feige vor. Schämt sich. Grämt sich. Kann aber nicht zurück. Hat sich den Weg verbaut. Auf dem Niveau einer Telenovela hat sie trotzig die Tür hinter sich zugeschlagen. Ihr Stolz ist ein Teil von ihr. Sticht sie von innen. Alles was er will ist sie. Das weiß sie und zu Beginn ist diese Gewissheit Macht, die Abkehr Triumpf, die Ignoranz Beweis ihrer Tatkraft. Einmal sieht sie ihn von Weitem und den Schmerz in seinem Genick. Ihr Gehirn gibt ihr keine Deckung, sie hat diesen Anblick verdient.

Wenn sie daran denkt warum sie gegangen ist kommt es ihr als das Gegenteil eines Grunds vor. Eher ein Anlass zu bleiben. Eine Chance zu wachsen. Gemeinsam. Er hat ihr Freiheit angeboten, sie hat sie mit Füßen getreten. Jetzt weiß sie nicht wie es ist. Wie sich Freiheit anfühlt. Weiß nur wie er aussieht wenn er frei ist. Wunderbar. Augen wie Sterne, eine Stirn wie Fels. Aufrichtig. Aufrecht. Abgefahren. So was von. Wie sie am Anfang darauf stand. Wie jeder Gedanke eine Berührung war und die Berührung selbst ein heißes Knistern. Sie hat Angst zu verbrennen. Lieber lauwarm leben und das Opfer lieben. Auf keinen Fall direkt in den stumpfen Spiegel gucken. Den Blick abwenden, denn jeder sieht so aus wie er. Am besten gar nicht mehr hinsehen. Sich sicher fühlen in der Versenkung. Freiheit ist eine Farce.

Wespennest

Abends steht sie. Betrachtet die Wespen, die unter den Holzgiebel fliegen. Hektisch. Die nach Wespenart spontan seitliche Ausfälle machen. Die Bewegung der Flügel unsichtbar. Sie sollen sich hier nicht versammeln. Das Gesumme im Dach wird durch das Gebälk verstärkt. Das ganze Haus scheint zu wespenvibrieren. Legt sie ihre Finger ans Fenster spürt sie das unruhige Zittern. Legt sie ihr Ohr an die Wand flüstert die Königin ihr zu zieh dich zurück. Sie erschrickt und knickt in weiche Knie. Die weiße Gardine weht im Wind und sie will sich in ihr Flattern retten. Doch der Vorhang kann kein Gewicht tragen nur Luft. Sie ist mehr als Luft. Schwer im Vergleich. Nie weht die Gardine gleich. Macht immer neue Muster. Vor allem abends also jetzt wo sie steht. Sitzen will sie nicht. Sie ist unruhig. Sind die Wespen eine Projektion? Nein. Sie sind wirklich. Real. Sie bauen ein Nest. Wespennest. Gesumme von morgens bis abends. Keine Stiche. Erst im Spätsommer, wenn es soweit ist. Im Stehen verliert sie die Zeit. Wacht auf aus zwei Stunden Unbestimmtheit. Wo war sie? Unterwegs könnte man es nennen. In Gedanken. Im All. Im Universum. Friedlich ist es dort. Still. Taub. Sie hört nichts. Das Alles ist in ihr drin. Weit ist es dort. So viel Platz. Unendlich viel. Sie lächelt.

greifSpäter liegt sie. Kann nicht schlafen. Lauscht auf einen Atem der nicht ihrer ist. Dreht sich. Bis sie ganz eingewickelt ist. Gefesselt. Fühlt wieder die Falten. Im Fieber ist es als falle sie in Spalten von Fels. Wie kann ein Bett so hart sein. Wie kann sie so steif sein. Liegt da wie ein Brett. Bewegung ist nur im Kopf möglich. Die Füße zucken. Ist sie jetzt eine Wespe? Schmeckt sie Pelz in ihrem Mund? Das Gelb. Das Schwarz. Kneift sie die Augen ganz fest ist es schwarz. Das hält sie nicht durch. Also wieder Gelb. So leuchtend. Was ist passiert? Es ist Morgen und es ist die Sonne. Freundlich. Anschmiegsam. Zärtlich. Ein neuer Tag Ernst. Sie lächelt. Geh weg Ernst, ich liebe dich, aber ich will dich nicht sehen.

Der ganze Tag heiter. Rein. Keine Einbildungen. Sie redet und reibt sich verwundert die Augen. Sie geht und greift nach echten Gegenständen. Ein Glas glatt wie Seide. Eine Gabel kalt wie Eis. Eine Gurke grün wie Gras. Gelächter. Greifvögel am Himmel. So kann es immer sein. Sie lacht.

Romeos Dorn

„Ist Lieb ein zartes Ding? Sie ist zu rauh, zu wild, zu tobend; und sie sticht wie Dorn.“ Romeo hat Recht. Rau wie rissiger Fels in den Bergen, grau von Wind und Wetter. Wild wie der Bach, der auf den Stein spritzt und eine Kuhle formt. Tobend wie der Sturm, der seinen Blitz hinein schlägt. Wie kann er alle diese Sachen aushalten auch wenn sie nur Bilder sind. Ich kenne diesen Romeo. Er stirbt, weil er das Regelwerk verletzt.

RomeoZuerst wünscht er sich die Liebe wäre der wilde Bach, der über den rauen Fels ins Tal stürzt und dann sanft in einen trägen Fluss fließt bis ins Meer. Im Meer liegt er auf dem Rücken, im Salz des Wassers wogt er auf und ab wie eine Flaschenpost, die noch niemand gelesen hat. Vom Heimathafen träumt er. Auch vom nächsten Sturm. Das gleichmäßige Wogen und Wiegen ist nicht sein Ding. Sein Wunsch nach Ankommen ist ein Witz.

Wenn er ehrlich ist wünscht er sich viel mehr, er könnte seine eigene Nachricht lesen. Eingerollt und mit rotem Faden gebunden verbirgt sie sich vor ihm. Wahrscheinlich ist sie so banal, dass er so was von enttäuscht wäre, würde er ihretwegen aus dem Strudel gefischt. Die Fantasie ist immer fesselnder als die Realität, der Widerstand gegen das Unbekannte aufregender als Tatsachen zu diskutieren. Fehlt noch der Dorn. Der sitzt wie ein Stachel in seinem Fleisch und treibt ihn an. Direkt ins Verderben.