Das Licht kommt jetzt von Norden

So hieß vor einigen Jahren eine Ausstellung skandinavischer Maler und das nordische Licht verzauberte alle, die in seinen Bann gerieten. Auch mich. Seitdem bin ich irgendwie anders. Ich versuche das mal zu erklären.

LichtnordenDie Verzauberung dringt durch meine Augen in die Gedanken, die ich gerade denke. Ich stehe vor einem Bild. Das Bild zeigt eine Frau mit heller Haut. Sehr hell, fast weiß. So eine Haut habe ich noch nie gesehen oder berührt. Vielleicht gibt es im Norden Menschen mit dieser Haut denke ich gerade als die Verzauberung mich trifft. Also nichts besonders Ausgewöhnliches, Intelligentes oder Originelles. Mein gut erzogenes Gehirn denkt einfach angemessen zur Ausstellung, stellt gewöhnliche Assoziationen her und kramt etwas träge nach Analogien aus der Vergangenheit. Es gibt mir eine Erinnerung aus Dänemark. Einen leeren Strand mit Heckenrosen, hinter denen sich die Menschen vor dem Wind geschützt sonnen. Die Rosen wachsen auf Sand und ihre Dornen sind sehr spitz. Mehrere Male habe ich in Dänemark Dornen aus meinem Daumen gedrückt.

Ich sehe die Dänen mit ihren hellen Haaren und ihrem freundlichen Blick. Ich bemerke die Sommersprossen auf ihren Schultern. Aber niemand hat diesen Teint wie hier die Frau auf dem Bild. Ein unsichtbarer Stahl aus Licht baut sich zwischen uns auf. Er ist erst ganz dünn wie eine Schnur aus Rauch, wird dann zu einer filigranen Spirale aus Hanf und schließlich ist er dick wie eine Wand und genauso stabil. In dem Moment überlege ich nicht. Ich ziehe einfach den Strang hinter mir her. Aus der Ausstellung raus auf die Straße. Keiner guckt komisch.

Das liegt daran, dass nur ich ihn sehen und fühlen kann. Er knebelt mich nicht, er schränkt mich nicht in meiner Bewegungsfreiheit ein, er ist nur einfach eine weitere Windung in meinem Hirn. Dieses neue Hindernis wirft andere Schatten auf die Eigenaktivität meiner Neuronen. Sie erzeugen jetzt weißes Licht, die Summe aller Farben. Ein angenehmer Nebeneffekt ist außerdem, dass ich glücklich bin. Das weiße Licht, die weiße Haut, alles ohne Sonne, machen meine Seele froh. Ich weiß dass das verrückt klingt. Genau so ist es aber gewesen. Ist es bis heute.

Ein wenig von diesem Licht reicht und ich werde zum Weichei. Bin ganz verzückt vor Wonne. Jedes Mal ein kleines Wunder.

Es schmerzt mich sehr wieder loszulassen. Für diese Geste habe ich lange geübt. Am liebsten würde ich mich aufkleben und es atmen. Aber ich kann mich wieder lösen und bin einigermaßen stolz darauf. Niemand will nicht nicht wieder losgelassen werden. Außer von Sachen die sonst niemand sieht. So wie ich von diesem nordischen Licht. Es darf in mir sein. Manchmal wundern sich welche warum ich mich so vertiefe. Doch dann ist es ja auch wieder normal. Jede und jeder vertieft sich mal. Taucht ein und wieder auf. Wie ein Kind, das spielt. Taucht in eine andere Welt und wird dann zum Essen gerufen. Tut so als säße es am Tisch und träumt doch seinen Traum weiter.

Wo fängt der Norden an? Na hier, direkt einen Meter nördlich von mir.

Hinterher

hinterher1Wieder im Wald wecken wir die schlafenden Hunde. Wir hetzen sie über die Hügel bis sie keuchen, wir lachen sie hecheln. Wir dachten die Hunde wären schneller als wir. Würden vierleichtbeinig voranlaufen, im Laub schnüffeln, mit dem Schwanz wedeln und dann ungeduldig auf uns warten während sie diesen menschenfreundlichen Blick auf uns werfen. Weit gefehlt.

Wir liegen im Moos und wärmen uns an den schräg einfallenden Strahlen der Sonne. Das Laub unter uns knistert trocken. Käfer krabbeln. Das nackte graue Holz knackt. Hat seine Rinde abgeworfen. Aalt sich im Licht. So wie wir. Und die Hunde. Ein buntes Knäuel von Fell, Klamotten, Haut und Haaren. Sie haben sich ihre Pfoten geleckt als wären wir durch glühende Kohlen gelaufen. Haben nach der Wurst geschnappt als hätten wir eine Wüste gequert. Unsere Nähe gesucht als wären wir Überlebende aus dem Buch Die Wand von Marlen Haushofer. Jetzt pennen sie als wären wir seit Tagen ohne Pause unterwegs. Wir lehnen unsere Köpfe an ihre Körper und hören einen Specht in einen toten Stamm hämmern.

hinterher3Über unseren Häuptern kreisen unsere Auren, kleine farbige Feen und Faune. Sie wirbeln und schweben. Werden eins. Wieder auseinander. Ein Sog aus Intensität, eine Quelle an Inspiration. Sprechen wäre jetzt Sünde. Schwer atmen und schweigen. Dann lautlos lächeln. Überlaufen vor Glück, ganz kurz. Dieser winzige Moment dehnt sich zu gefühlter Ewigkeit. Wie wir Menschen eben empfinden. Wir dehnen die Zeit wie Einstein. Nur das Licht zählt, sonst nichts. Es fließt in uns hinein bis wir leuchten. Der Glanz ist nicht von dieser Welt.

Wir wecken die schlafenden Hunde vor der einbrechenden Nacht. Auch nach dem Schlaf sind sie müde und wieder sehen uns ihre Augen an als würden sie uns anklagen. Das Spiel Herr und Hund gewinnen wir ohne Anstrengung und schon laufen sie wieder hinter uns her. Hinterher.

Bromhimerdbeer

hmml1Jedes Jahr in der Erntezeit gerate ich in einen Rausch. Letztes Jahr denke ich es gibt außergewöhnlich viel zu holen. Dieses Jahr gibt es ungefähr dreimal soviel. Habe schon Ringe unter den Augen vom genauen Hingucken. Erst Erdbeeren nah an der Erde, etwas höher dann Himbeeren und bald schon Brombeeren. Die Beeren bewirken eine Beschleunigung meines Bewegungsapparats – ich schwinge mich kurz nach Sonnenaufgang auf mein Fahrrad, nachdem ich schon die halbe Nacht wach liege und mir Verwertungsvarianten ausdenke, virtuell mit Aromen experimentiere, hinzufüge, verwerfe, einrühre, auspresse. Mein Schlafgefährte macht seltsame Geräusche, ein Summen wie die Hummeln.

 

hmml2Er hat sie auch gesehen – sie sind wahnsinnig vor Gier und Glück. In voller Fahrt fliegen sie in die schwülen Kelche, rosa vor Aufregung und wühlen sich in den üppigen Pollen. Oben und unten, Schwerkraft spielt keine Rolle mehr, sie wälzen sich in der Paste, sie klebt ihnen am Pelz und sie können nicht genug davon kriegen. Ich löse mich vom Anblick wohliger Wärme und feinstaubverklebter Fühler, fahre dorthin, wo sich schwarzglänzende Früchte schwer über die Dornen neigen. Ich will sie alle.

Ganz hinten oben hängen die besten.

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Sie sind schwer erreichbar. Ich wuchte mein Fahrrad ins Gebüsch und steige darauf auf. Es schwankt in der Hecke. Jetzt bin ich mindestens Einmeterzwanzig größer und sehe aus wie eine dieser Puppen, die im Karneval auf Stelzen laufen. Mein Gesicht eine Maske, beerensaftverschmiert der Mund, rote Spritzer auf der Haut, Spinnweben in den Haaren. Hexe. Ich glaube das hat gestern ein früher Gassigeher geflüstert, als er über meine Tupperdosen gestolpert ist. Ich schenke ihm ein schreckliches Grinsen und geschwind zieht er seinen Grauhaardackel weg. Wenn die Eimer voll sind, meine Arme zerkratzt, die Fingernägel und Hosenbeine eingerissen, fahre ich wieder nach Hause, wo der Geliebte noch schläft. Gut. Sähe er mich so wäre er nicht mehr sicher.

hmml6Später bewundert er die sauberen Gläser dunkellila Gelee, schmeckt die erdige Süße und leckt die Tropfen vom Tisch.

 

Save Our Ship

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Sieben Inseln in meinem Traum. So als wäre rund um das Siebengebirge alles Land geflutet und nur die Gipfel schauen noch heraus. Der Rhein ein Meer mit Strömung. Von der letzten Landzunge des Petersberg-Archipels blicke ich in Richtung Eifel. Die Kegel vulkanischen Ursprungs ragen auch noch aus dem Wasser, sind aber unerreichbar ohne Schiff.

Den Flussschiffern fehlt die Orientierung. Verwirrt fahren sie mit ihren Kähnen kreuz und quer. Ihre Ladung werfen sie über Bord. Was wollen sie mit schwerem Schrott. Den kauft niemand wenn alles schwimmen muss. Die Häfen sind hoffnungslos verloren. Das Boot allein wird sie zu reichen Männern machen. Sie transportieren Menschen, die sehnsüchtig auf den schimmernden Meeresboden gucken, wo ihre Autos versunken sind. Sie beugen sich nach unten zu ihren verlorenen Schätzen. Vor noch nicht so langer Zeit haben sie mit geneigtem Kopf auf ihre Mobiltelefone gestarrt, jetzt schauen sie wie gebannt ins Wasser. Als würde es von der Intensität ihres Blicks verdunsten. Tut es aber nicht.

Hier vor meiner Haustür: Sieben Inseln, die unter anderem nun Öl-, Löwen- und Dracheninsel heißen. Die Stenzelfelsen ein schroffes Riff. Aussichtspunkte, an die Brackwasser schwappt. Ich habe Glück, erstens weil das nur ein Traum ist und zweitens weil ich auf dem Petersberg zu Hause bin und dort ein Luxushotel steht. Die einzige bewohnte Insel die noch den Namen Berg verdient. Auf der Ölinsel steht ein kleines Haus, ein Einkehrhäuschen, deren Bewirtschafterin nachts ins Tal schlafen geht und das Wasser kam in der Nacht.

Das Fünfsternehotel ist ein Hochsicherheitshaus, das der Regierung gehört. Es rühmt sich etwas schamhaft das „Deutsche Camp David“. Peinlich. Ich schäme mich fremd für diese Bezeichnung. Bill Clinton ist hier mal zwischen den Videokameras im Wald gejoggt und danach haben sie Schilder hingestellt und den Weg Bill-Clinton-Pfad genannt. Für geübte Läuferinnen wie mich ist die Distanz ein Witz und als heilige Fußstapfen empfinde ich die längst verwischten Abdrücke von Clintons Nikeschuhen auch nicht. Außerdem stören mich die Kameras. Ich stelle mir vor, wie in einem kleinen unterirdischen Raum ein etwas schmuddeliger Sonderbeauftragter des Bundesnachrichtendiensts die Bildschirme betrachtet, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht und sich dann wieder der X-Box zuwendet. Es gibt geheime Gänge, die geflutet keinen Sinn mehr machen. Der Berg ist seit der Römerzeit unterwandert, es gibt Dutzende von Höhlen und dunkle in den Fels gehauene Wege.

Dass die hier U-Boote gebunkert haben, glaube ich nicht.

Als vor 883 Jahren der Ritter Walther der Einsiedler an das Rheinufer gespült wurde und er sich mühsam durch das Gestrüpp auf den Gipfel des Petersberg stieg, der damals noch Stromberg hieß, um sich umzuschauen, fand er die Grundmauern eines Ringwalls aus der Zeit von ca. 100 v. Chr., baute ein Haus darauf und sein gemütliches Feuer lockte Zisterziensermönche aus der Eifel an, die sich dort niederließen, aus dem Haus eine Kirche machten und den Ort hernach immer frommer, Kreuz-, Prozessions- und Bittwege errichteten, die heute noch erhalten sind. Damals war die große Flut eine biblische Geschichte, die in der Vergangenheit lag und mit deren Wiederholung die Mönche nicht so bald rechneten, weil sie auch noch nichts von der globalen Erwärmung gehört hatten. Sie hätten sich gewundert ob der Wasserlandschaft, die jetzt die Hohlwege hochdrückt.

Bald, sagt mir mein Gehirn, wird es hier ein Hauen und Stechen geben um die besten Plätze. So wie man es kennt aus den Endzeitszenarios. Die Drehbücher sind alle schon geschrieben. Die mit den Schiffen werden gewinnen. Dann weckt es mich mit einem Stromstoß aus dem Hochspannungszaun.

Ich wache auf mit tauber Haut. Es kribbelt in meinem Innern wie nach der Berührung mit einem aktiven Kuhweidendraht. Ein Dieselmotor tuckert leise, eigentlich ein vertrautes Geräusch ohne Anlass zur Sorge. Ich springe aus dem Bett und renne zum Fenster. Da ist es. Auf dem Rhein, wo es hingehört. Stromaufwärts. Niemand hätte meinen halb verschlafenen Hilferuf verstanden SOS Save Our Ship. Die Feuerwehr wäre angefahren, das Hauptquartier direkt um die Ecke. Sie hätten eine Menge Lärm gemacht und nur einen Traum gelöscht.

Julian und Ezra

sind eigentlich Esther und Julia. Ein kleiner Versprecher gepaart mit flüchtigem Verstehen extrahiert aus langjährigen Freundinnen in Nullkommanix zwei Existenzen, die mit ihrer Identität ringen.

Sie waren sich nicht immer grün; ganz im Sinne von Snow White Stiefmutters Spiegel wollte eine immer die Schönere sein und setzte dafür auch schon mal mediocre Methoden ein. Blöde Beautytipps zum Beispiel, Masken die Pickel machen, gentechnisch veränderte Gurken auf den Augen, geheuchelte Komplimente zu schief sitzenden Karohosen. Das sieht toll aus. Nur du kannst das tragen. Trotzdem diese aus gemeiner Abhängigkeit bestehende Treue.

Über viele Jahre Sommerferien auf einem Campingplatz in der Toskana. Wer da wen übertrumpfte war saisonabhängig und glich sich mit den Jahren aus. Nicht das übliche User und Dealer Beziehungsgefüge, aber sie waren ja auch nicht zusammen. Nicht mal die Idee stand irgendwann im Raum. Umarmungen nach durchtanzten Nächten und verkatertes Kuscheln vor dem Fernseher von der harmlosen Art, die nicht am Esther-oder Julia-Selbstverständnis knabbert.

Und jetzt das. Neue Kennung, Körper und Küsse. Sie sind Julian und Ezra und sie wohnen in dieser Wohnung mit einem Schlafzimmer, dessen Blick auf einen ummauerten Garten geht. Sanft gezähmte Wildnis. Weinranken und Wiesenblumen. Wacholder Juniperus sabina für den Wunsch nach Wirklichkeit: Sie nennen ihn ihren de Sadebaum, er ist in allen Teilen giftig und hätte ihnen in ihrem früheren Leben ersthaften Schaden zufügen beziehungsweise zu Fehlgeburten führen können.

„Wie sind wir nur hierher gekommen?“

„Vielleicht eine Zeitschleife oder ein Paralleluniversum.“

„Du versuchst ja nicht einmal eine vernünftige Erklärung zu finden.“

„Wäre es dir lieber wir könnten uns nicht an die anderen erinnern?“

Wenn sie von früher sprechen sind sie die anderen. Lachen über die Leichen, über die sie gingen. Gewonnen haben sie ein gewaltiges Maß an Ungestüm und Unverfrorenheit. Gewissheit über ihre Gefühle. Gemeinsamkeit.

Verloren haben sie … nichts. Außer vielleicht den Reiz von Rüschenblusen und die Lust auf fieses Versteckspiel. Ihre Rolle war nie eindeutig pro- oder antagonistisch also vernachlässigen sie das. Nun sind sie beide irgendwie gleich. Ob das auf Dauer genug Spannung erzeugt. Warum sollen sie sich einem abstrakten Prinzip beugen. Irgendwie nagt der Zweifel an ihrem Glück wie die Maus an einer Wurzel. Dieses ständige Grübeln. Warum haben es die anderen nicht mit ins Grab genommen. Sind sie überhaupt gestorben. Oder nur gehirngewaschen. Vielleicht vergiftet mit Sadebaumöl.

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