Déjà-vu_App

dejavu-app blue eyes

Die Déjà-vu Momente mehren sich. Vor einigen Jahren waren es rudimentäre Reste aus Second Life, die mich an etwas erinnerten, was niemals war. Jetzt sind es vage Andeutungen aus der virtuellen Welt. Sie reichen aus, meine Wahrnehmung auf wunderbare Weise mit Altbekanntem zu versorgen. Mein (Lebens-)Gefährte, das Gehirn, mag das Gewohnte. Seine Priorität im Denkprojekt sind Belohnungen. Über die Jahre habe ich vergebens versucht, es zu Höchstleistungen ohne Honorar zu bewegen – doch es hält allen pro bono Bemühungen stand. Also darf es nun App-Ersatzzuckerchen naschen.

Als erstes nehme ich es mit auf einen schneebedeckten Berg. Früher war ich eine begnadete Boarderin. Habe Tiefschnee durchschnitten wie ein warmes Messer weiche Butter. Mein Gehirn erinnert sich: Damals hat es Glückshormone ausgeschüttet. Einige Nanoendorphine hängen immer noch an den Synapsen. Sie blitzen und funkeln und glitzern wie Eiskristalle.

Der Berg ist ein Programm, der Schnee, der Hang, der Wind, die Kälte – alles Programm. Das Programm ist eine App und die App ist auf meinem Telefon und das Telefon ist quer auf meiner Nase. Wie ein kleines Brett vorm Kopf. In einer Plastikhülle mit feinen Extralinsen für die Projektion. Auf dem Gipfel genieße ich den Rundumblick. Zu meinen Füßen liegt knirschender Schnee, die Sonne scheint am Himmel und der Abgrund fällt um mich herum.

Wo dem Programm die Perfektion fehlt, füllt mein Gehirn die Lücken. Kaum kriegt es Zucker, zögert es keine Sekunde. Es möchte, dass ich glaube, was ich ihm vorgaukle. In diesem Paradox sind wir wie Partner: Wir kennen unsere Vorlieben und wir wissen um unsere Schwächen.

Déjà-vu-Apps gibt es wie Sand am Meer. Programmierte Phänomene für einen Pappenstiel.

Plastik Pathos Poesie

Ex-Banker mit Winnetouhaaren

„Plastik ist alles was es überhaupt gibt und das Ergebnis von allem was es je gegeben hat im Ganzen gesehen.“ Elfriede Jelinek, Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr

Mein Freund, der Ex-Banker, der seine Haare trägt wie Winnetou, ist jetzt Umwelt-Aktivist. Er grinst über seine veränderten globalen Interessen und sagt: „Mein kapitalistischer Antrieb hat mich aus der Bahn geworfen“. Er meint das wörtlich. Seine Bank hat ihm die Bahncard 100 gestrichen. Ohne die Bahn kommt er aber nicht zur Bank. Zu diesem Zeitpunkt ist er schon ein Banker ohne Auto. Die Bäume wachsen an Bedeutung. Also steigt er aus.

In seiner Garage, deren Geräumigkeit er neu nutzt, sitzen wir auf Gartenstühlen und trinken Regenwasser. Gelegentlich lädt er seine Nachbarn ein und erzählt Geschichten. Er macht das ganz auf seine Art, ziemlich kitschig für meinen Geschmack, aber die Leute stehen drauf.

Er sagt Sachen wie: „Das dem Plastik nahestehende Gefühl ist Gleichgültigkeit. Ein Großteil der Egal-Haltung kommt aus einem Nebenfluss des Mainstream. Dort treibt sie an der Oberfläche mit dem Schaum der vereinigten Spülwasser, driftet mit der Strömung ins Meer und verteilt sich über die ganze Welt.“

Er zitiert Elfriede Jelinek (siehe oben, woher kennt er die überhaupt?) und ergänzt: „Im Ganzen gesehen ist alles schon geschehen: gesehen, geschrieben, gesagt, gefordert, gefressen. Wale verschlingen Kunststoffkrill.“ Ich muss lachen, weil er so überbordet und den Moralapostel raushängt, doch die Menschen im Schatten der Garage haben ernste Gesichter. Als Ex-Banker ist er der perfekte Apostel. Mit langer Mähne, schwarzglänzend wie ein nasser Pottwal. Wenn die anderen hier ähnliche Assoziationen haben, dann ist die Performance perfekt.

Das Beste: Der Ex-Banker fordert nix. Er wirft nur seine Worte in die Ex-Garage. Dort wirken sie wie das Getriebe des abgeschafften Autos – als Drehmoment. Alle finden ihren eigenen Antrieb. Sie räumen vielleicht schon morgen ihre Garagen leer. Wer weiß.