unvollendet

Diese eine Liebe ist unvollendet. Höflich und brutal wurde sie unterbrochen. Seither schwebt sie im Nimmerland. Ist immer noch Möglichkeit und schön gemalte Melancholie. In ruhigen Momenten weine ich, in aufgewühlten trete ich gegen Gegenstände, die meinem Tritt Einhalt gebieten und dem Schmerz seinen Lauf. Blut im Schuh. So ein unvollendetes Gefühl entwickelt ein Eigenleben, es schaufelt sich die Tiefe, die ihm zusteht. Das Gehirn hilft ihm dabei. Sie sitzen dauernd zusammen und brüten über den Raum, den sie einnehmen wollen. Mein Gehirn, die mentale Schaufel. Gräbt dem Gefühl einen Graben, in dem es Schutz sucht vor meiner Gier nach Vergessen. Und findet. Meine Versuche, die Vergangenheit auszulöschen, fegen wie eine kurze Verwehung über den Graben hinweg. Nur ein kleiner Hauch hat das Gefühl erreicht. Es atmet den Hauch und macht daraus ein Fragment für sein Bild. Ein Mosaik an Erinnerungen, die ich wegschicke und die ihr Ziel nicht erreichen. Statt dessen entsteht eine Statue, ein Monument, ein Stein, aus dem feine Konturen wachsen. Vollendete Unvollkommenheit.

unvollendet

Dieses Pathos in den Worten. Punk Pathos. Rattenpisse auf den Rippen. Ja genau, das hier ist gerade ein aufgewühlter Moment und ich kicke einen Müllcontainer. Der tönt dumpf. Der Schmerz geht bis ins Knie. Das Problem bei diesen unvollendeten Lieben, sage ich jetzt mal so allgemein, ist, dass das abgeschnittene Ende frei herumflattert. Es flattert und weht und fetzt wie ein vergessenes Plastikband an einer Absperrung und irgendwann franst es dann aus. Aber es bleibt, wenn kein Kind oder die Kanalarbeiter es wegreißen.

Ich komme fast täglich an diesem Flatterdings vorbei und will es abnehmen, tue es aber dann doch nicht, weil das könnte ja eine symbolische Handlung sein, deren Folgen ich nicht abschätzen kann. Eigentlich will ich nichts tun, sondern nur warten. Warten, bis jemand anderes etwas macht, das die Vollendung einleitet. Also auf ein Wunder warten. Ja, das mache ich. In der Zwischenzeit lese ich kluge Bücher, spreche mit klugen Menschen und höre anspruchsvolle unvollendete Musik. Ich lese zum Beispiel: Es kommt nicht darauf an, wie lange man wartet, sondern auf wen. Aha. Die Qualität des Wartens ist eine andere je nachdem auf wen man wartet. Im Wartezimmer meines Zahnarztes auf meinen Aufruf zu warten ist anders als darauf zu warten, dass mich meine unvollendete Liebe anruft. Stimmt. Mein Gehirn weigert sich die Erkenntnis über den Qualitätsunterschied anzuerkennen. Es schickt mich zurück wie eine Touristin mit abgelaufenem Visum. Fang von vorne an sagt es.

Wo ist vorne, frage ich zurück.

Wild One

Huhn2Annas Zahnarzt sagt er ist ein Cowboy. Also was Schmerz angeht. Chicken, denke ich. Er macht vor meinem offenen Mund so etwas wie stilisierte Rauchzeichen, die sollen wohl heißen du kennst keinen Schmerz oder? Will er mir mit seinen spitzen Instrumenten Angst machen. Nein, da sitzt ein tiefer Schalk in seinen Augen. Den Zahnarzt habe ich wegen der Akupunktur gefragt. Für Anna. Aber wir reden nun nur noch über mich. Und über ihn. Und über uns. Unser Lächeln poliert er auf Hochglanz. Er kann das auf ganz verschiedene Arten.

Am Abend in der Bar sage ich, Anna ich war bei deinem Arzt. Er ist jetzt auch mein Arzt. Das Licht ist lila, der Keeper semiprofessionell, die Drinks mittelmäßig. Das lila Licht bleicht unsere Haut. Kleine Spots lassen unsere Zähne blitzen. Wir strahlen uns an. Er ist gut sage ich du kannst ihm vertrauen, ich habe die Schmerznummer bei ihm abgezogen. Er steht voll drauf. Sie sind alle irgendwie gleich sagt Anna. Nein das stimmt nicht, entgegne ich.

wildoneOkay, dann erzähl mir vom Cowboy. Er macht einen auf dicke Hose und hat dabei die ganze Zeit Schiss, dass ihn eine Kugel ins Herz trifft. Parkt einen aufgemotzten Pickup vor der Praxis und steht auf Country. Ich sage Anna nicht dass ich voll darauf abfahre. Dass ich seinem Blick folge als ich mit meinen Westernstiefeln in das Behandlungszimmer poltere, ooops. Nicht ganz purer Zufall, dass ich sie trage. Sie geben mir schmerzfreies Selbstbewusstsein. Ich konnte ja nicht ahnen, dass der Zahnarzt ein Cowboy ist und mir das auch noch offenbart. Die Stiefel haben ihn glatt umgehauen. Ungläubig schaut er von ihren Spitzen in mein Antlitz. Forscht nach bekanntem Schema. Findet es nicht. Und dann noch die Masche mit schmerzfrei. Hat ihn voll erwischt. Und sagt er sei der Cowboy, ich Steinfeder oder so ähnlich. Aber erst später, als er seinen Kittel nicht mehr trägt und ich die massive Silberschnalle an seinem Gürtel sehe.

Was wird das jetzt, fragt Anna, eine Liebesgeschichte? Du spannst mir den Zahnarzt aus? Aber sie sagt das nur, weil es als Pferdeanalogie gut in den Cowboy-Kontext passt. Ich überlege oder tue so. Das heißt ich schlürfe träge an meinem schlechten Cocktail und denke ich würde das Glas am liebsten vor dem Keeper auf die Bar knallen und sagen, Bourbon, pur, ohne Eis. Mein Gehirn spult Klischees ab. Zu Anna sage ich, nö, glaub nicht. Die so einen auf Macker machen sind meistens ganz weich. Was Wildes wäre gut. Was weiches Wildes.

Fluss im See

Morgens geht sie schwimmen, viertel vor sieben. Sommers wie winters die knarzende Treppe hinunter in Badeschlappen, die Bettwärme noch auf der Haut und der Blick verträumt. Vertrauter Weg zum Wasser, nur einige Schritte vor der Tür fließt der See. Die Strömung sieht sie nicht, aber sie kennt ihr unbeugsames Ziehen, wenn sie in ihren Sog gerät.

Die Russen haben ihre Angeln ausgelegt. Sie fangen Fische mit vielen Gräten die sonst niemand isst. Das Wasser ist klar und kalt. Sie geht an den Russen vorbei und sie schauen nicht. Ihr Bademantel flattert im Wind, heute ist Sturm und er will die Blätter von den Bäumen reißen. Noch nicht denkt sie und geht noch ein Stück am Ufer entlang. Betonierte Schräge. Treppen. Auf eine der Stufen legt sie ihre Sachen, federt dann auf bloßen Füßen stromaufwärts bis die Distanz stimmt und sie sich vorsichtig nach unten tastet. Ihre Besonnenheit ist zur Gewohnheit geworden seit sie hier mal geschlittert ist. Blut und Aufregung, kein Schmerz. Wie lange ist das her.

Rhein_10Enten meckern als sie in den See steigt, sie sagt See, nicht Fluss, obwohl er hier wieder herausfließt aus der Breite. Der Rhein. Ihr Gehirn kennt was kommt und erregt sich nicht beim Eintauchen ihres warmen Körpers, das Herz pumpt, der Kreislauf rennt, alle Funktionen unter Kontrolle. Das hier ist gegen und nicht für einen Herzinfarkt. Deshalb schwimmt sie aber nicht. Sie will das Kribbeln fühlen, die kleinen Blasen aus Luft, die sich von ihr lösen, den Moment der Stille, wenn sie der See aufnimmt.

Nach fünf Zügen spürt sie die Strömung. Sie bemächtigt sich ihres Gewichts und trägt es behutsam fort. Wird langsam schneller und stärker. Sie muss nun Kraft aufwenden um ihr zu entkommen. Nur etwas Wille und Muskeln. Wie jeden Tag. Die Strömung ist fast immer gleich. Die Temperatur ist launischer. Sie schwimmt auf die Treppe zu, wieder frei vom gewaltsamen Griff. Ihr Geist ist jetzt wach. Sie schlüpft in ihren Mantel und geht zurück. Die Russen gucken nicht. Sie denkt an das was heute vor ihr liegt.

Stock Rose

ImageIrgendwie vermisst sie ihn. Sie hat ihn verlassen aber nicht vergessen. Hat dieses große Opfer gebracht und ist nicht belohnt worden. Von wem auch. Schicksal, lächerlich. Mittlerweile kommt sie sich feige vor. Schämt sich. Grämt sich. Kann aber nicht zurück. Hat sich den Weg verbaut. Auf dem Niveau einer Telenovela hat sie trotzig die Tür hinter sich zugeschlagen. Ihr Stolz ist ein Teil von ihr. Sticht sie von innen. Alles was er will ist sie. Das weiß sie und zu Beginn ist diese Gewissheit Macht, die Abkehr Triumpf, die Ignoranz Beweis ihrer Tatkraft. Einmal sieht sie ihn von Weitem und den Schmerz in seinem Genick. Ihr Gehirn gibt ihr keine Deckung, sie hat diesen Anblick verdient.

Wenn sie daran denkt warum sie gegangen ist kommt es ihr als das Gegenteil eines Grunds vor. Eher ein Anlass zu bleiben. Eine Chance zu wachsen. Gemeinsam. Er hat ihr Freiheit angeboten, sie hat sie mit Füßen getreten. Jetzt weiß sie nicht wie es ist. Wie sich Freiheit anfühlt. Weiß nur wie er aussieht wenn er frei ist. Wunderbar. Augen wie Sterne, eine Stirn wie Fels. Aufrichtig. Aufrecht. Abgefahren. So was von. Wie sie am Anfang darauf stand. Wie jeder Gedanke eine Berührung war und die Berührung selbst ein heißes Knistern. Sie hat Angst zu verbrennen. Lieber lauwarm leben und das Opfer lieben. Auf keinen Fall direkt in den stumpfen Spiegel gucken. Den Blick abwenden, denn jeder sieht so aus wie er. Am besten gar nicht mehr hinsehen. Sich sicher fühlen in der Versenkung. Freiheit ist eine Farce.

Känguru

In einem meiner früheren Leben war ich wohl ein Känguru. Anders kann ich mir mein Vergnügen am Hüpfen nicht erklären. Mein Innenraum ist locker wie frische Erde, mein Herz ist euphorisch, so kenne ich es gar nicht. Aber ich glaube ich weiß woran das liegt. Vorher brauchte es enorm starke Impulse um in Bewegung zu geraten. Sowas wie glühende Zaunpfähle, Ansagen über Lautsprecher, blutige Piekser von dornigem Gebüsch oder schmerzende Schnitte im Schilfgras. Jetzt schaukelt es mit grandioser Erinnerung an das australische Outback auf und nieder. Immer wieder. Wie auf Watte. Kam ich mir gestern noch vor wie ein seltsamer Vogel, der mühsam mit den Flügeln schlägt und sich des Gelächters der anderen sicher war, fühle ich mich heute wie ein leichtfüßiges Beuteltier. Das Bild muss stimmen. Und der Kontakt zum Boden. Was ich noch üben muss und was mit einem stationären Trampolin nicht so gut gelingt ist das Zurücklegen von Strecke. Denn eine innere Stimmer ruft unentwegt: weiter!