Wild One

Huhn2Annas Zahnarzt sagt er ist ein Cowboy. Also was Schmerz angeht. Chicken, denke ich. Er macht vor meinem offenen Mund so etwas wie stilisierte Rauchzeichen, die sollen wohl heißen du kennst keinen Schmerz oder? Will er mir mit seinen spitzen Instrumenten Angst machen. Nein, da sitzt ein tiefer Schalk in seinen Augen. Den Zahnarzt habe ich wegen der Akupunktur gefragt. Für Anna. Aber wir reden nun nur noch über mich. Und über ihn. Und über uns. Unser Lächeln poliert er auf Hochglanz. Er kann das auf ganz verschiedene Arten.

Am Abend in der Bar sage ich, Anna ich war bei deinem Arzt. Er ist jetzt auch mein Arzt. Das Licht ist lila, der Keeper semiprofessionell, die Drinks mittelmäßig. Das lila Licht bleicht unsere Haut. Kleine Spots lassen unsere Zähne blitzen. Wir strahlen uns an. Er ist gut sage ich du kannst ihm vertrauen, ich habe die Schmerznummer bei ihm abgezogen. Er steht voll drauf. Sie sind alle irgendwie gleich sagt Anna. Nein das stimmt nicht, entgegne ich.

wildoneOkay, dann erzähl mir vom Cowboy. Er macht einen auf dicke Hose und hat dabei die ganze Zeit Schiss, dass ihn eine Kugel ins Herz trifft. Parkt einen aufgemotzten Pickup vor der Praxis und steht auf Country. Ich sage Anna nicht dass ich voll darauf abfahre. Dass ich seinem Blick folge als ich mit meinen Westernstiefeln in das Behandlungszimmer poltere, ooops. Nicht ganz purer Zufall, dass ich sie trage. Sie geben mir schmerzfreies Selbstbewusstsein. Ich konnte ja nicht ahnen, dass der Zahnarzt ein Cowboy ist und mir das auch noch offenbart. Die Stiefel haben ihn glatt umgehauen. Ungläubig schaut er von ihren Spitzen in mein Antlitz. Forscht nach bekanntem Schema. Findet es nicht. Und dann noch die Masche mit schmerzfrei. Hat ihn voll erwischt. Und sagt er sei der Cowboy, ich Steinfeder oder so ähnlich. Aber erst später, als er seinen Kittel nicht mehr trägt und ich die massive Silberschnalle an seinem Gürtel sehe.

Was wird das jetzt, fragt Anna, eine Liebesgeschichte? Du spannst mir den Zahnarzt aus? Aber sie sagt das nur, weil es als Pferdeanalogie gut in den Cowboy-Kontext passt. Ich überlege oder tue so. Das heißt ich schlürfe träge an meinem schlechten Cocktail und denke ich würde das Glas am liebsten vor dem Keeper auf die Bar knallen und sagen, Bourbon, pur, ohne Eis. Mein Gehirn spult Klischees ab. Zu Anna sage ich, nö, glaub nicht. Die so einen auf Macker machen sind meistens ganz weich. Was Wildes wäre gut. Was weiches Wildes.

wild ist relativ

Ich stehe auf wild. Bei Menschen und in der Natur. Auch in der Kombination. Wirklich definiert ist wild in Bezug auf Natur, da haben sich schon Viele Gedanken gemacht. Zum Beispiel die IUCN (Internationale Naturschutzorganisation der UNESCO).

wild1Sie sagt unter Wildnis werden Flächen verstanden, die ein ursprüngliches und nicht verändertes Gebiet umfassen, das diesen Charakter über eine ungestörte Lebensraumdynamik bewahren soll. Das Gebiet darf keine ständigen Siedlungen und sonstige Infrastrukturen aufweisen und sein Management darf ausschließlich dazu dienen, diesen ursprünglichen Charakter zu erhalten. Damit werden auch Eingriffe wegen wissenschaftlicher Forschungsarbeiten sowie eine touristische oder Erholungsnutzung ausgeschlossen.

Ich liebe diese nüchterne Definition und wende es mal kurz auf Menschen an…. verkürze auf… ursprünglichen Charakter… der ist selten, der ist besonders, der ist fast nicht existent und entfaltet eine besondere Anziehungskraft (auf mich). Mir ist klar: wild ist relativ und manche finden wild barbarisch und chaotisch. Ich nicht. Mir geht kultiviert auf die Nerven, wäre ich ein Mann würde ich sagen auf den Sack. Sorry.

Ich lebe in einer Kulturlandschaft. Das Siebengebirge ist schon seit der Römerzeit nicht mehr wild. Es gibt aber mittlerweile eine Naturwaldzelle und ein paar ungestörte FFH-Waldformationen (Flora-Fauna-Habitat), die kenne ich natürlich. Vor einigen Jahren ist eine Initiative gescheitert, das Siebengebirge zu einem Nationalpark zu machen. Die Menschen mit den gepflegten Gärten und einer trügerischen Zivilisation haben Angst vor der Wildnis, die sich ausbreiten könnte. Naturpark reicht doch. Wozu etwas wieder herstellen, was es seit Hunderten von Jahren schon nicht mehr gibt? Wer weiß wozu das führt. Womöglich kommen dann wieder Wölfe. Das wäre wirklich wild.

Königin-Komplex

eigenheim

Ich kenne eine Frau, die sich rächen will. Rachegefühle gelten als Charakterdefizit. Zumindest hierzulande, wo es für nicht ausgelebten Zorn Therapien gibt. Bezahlt sogar die Krankenkasse. Also ihre nicht, aber die meisten schon. Sie sagt sie braucht keinen Psychologen weil sie weiß wo ihr Wunsch nach Rache verankert ist, auch seit wann. Jetzt lächeln die Psychologen weil sie glauben, das wäre noch lange nicht alles. Stimmt. Sie will nämlich ihr mieses Gefühl gar nicht loswerden. Sie schwimmt darauf wie ein Korken und es trägt sie von Küste zu Küste.

Andere haben damit zu kämpfen, dass sie von ihrer Mutter nicht angenommen, akzeptiert oder angemessen geliebt werden, sie dagegen hat ihre Mutter schon als Kleinkind abgelehnt und musste sie dann noch achtzehn lange Jahre ertragen. Dann ist sie einfach weggegangen. Aus diesem Haus mit der blauen Garage. Hat ihr Fahrrad geschnappt und ist über die Felder in ein neues Leben geradelt. Zu dem Zeitpunkt war sie eine angry young woman und konnte sich easy in eine Peergroup einreihen. Wild war das. Die Rachegefühle kamen erst viel später als sie gemerkt hat, wie konditioniert sie ist und dass sie einen böse-Königinnen-Komplex hat. So nennt sie das. Direkt abgeleitet von der Herrscherin im schwer verdienten Eigenheim.

Es gibt in ihrem Leben immer wieder diese Frauen, die glauben, sie irgendwie über die Klinge springen lassen zu müssen, um sich dann an ihrem Blut zu ergötzen. Es sind Frauen mit Macht. Mütter zum Beispiel. Freundinnen. Kolleginnen. Was dich nicht tötet macht dich stark. Das ist nicht gerade ein Spruch aus unserer mitteleuropäischen Alltagswelt. Die Wahrscheinlichkeit getötet zu werden ist auf der Autobahn am größten. Kein großes Abenteuer. Ihre Mutter lebt seit vielen Jahren nicht mehr und die Rache richtet sich eher gegen das System, das alles zugelassen hat. Es hat sogar zugelassen, dass sie selbst zur bösen Königin geworden ist. Ab und zu. Sie weiß ja wie es geht. Das bringt keine Linderung. Jetzt ziehen die Psychologen eine Augenbraue hoch. Da muss man doch was machen. Sie pfeift darauf.

Neulich hat sie mir gesagt, dass jetzt, wo sie keine der angry young women mehr ist, einfach wegen des Alters, sei es schwieriger, sich auszutoben. Lust zum Austoben hat sie genau wie früher, aber auch das lässt das System nicht zu. Im Geheimen muss das geschehen. Sonst gilt sie als absonderlich. Zu guter Letzt muss sie lachen. Aus vollem Hals. LOL. Es geht ihr gut mit dieser Rache. Mit diesem wütenden Tier in ihr. Sie hebt stolz ihr Kinn. Es ist ihres, ganz allein. Besitzerin. Königin.