Winken wie die Queen

Queen of England Portrait

Der Nachmittag flimmert in den Abend. Wir atmen Mückenschwärme ein, verscheuchen wilde Wespen, sehen Kakerlaken am Hausputz knabbern und Fliegen fliegen. Das faulige Obst tropft süß auf den Boden. Der Spätsommer kocht saftige Suppe und presst das Leben aus den Leibern. Wir lecken es auf. Ein Überfluss an Süßem. Das Zuviel an Zucker, das sich in Fett wandelt für den Winter. Fette Welt.

Auf der anderen Straßenseite magere Welt. Dürre im Vorgarten. Gibt es hier kein Wasser oder wer kümmert sich eigentlich? Habe ich einen Garten, dann muss ich auch gießen. Ein Zettel im Briefkasten von der besorgten Nachbarschaft. Worum sorgt sie sich? Dass die Dürre doof aussieht oder dass ein Mangel herrscht? Zwischen den Zeilen ist das Doofe. Es ist doch nur ein Vorgarten, ein Stück Land an der Straße. Der richtige Garten ist hinten mit Tomaten, Stangenbohnen und Zwiebeln. Die werden gegossen und gegessen. Von einer Familie, die sich nicht um den Vorgarten oder um ihr Ansehen schert. Aber arglos ist hier niemand. Immer liegt etwas Uneinschätzbares, tendenziell Bedrohliches in der Luft.

Unsere zwei Welten werden nur von einer Straße getrennt. Wir winken manchmal hinüber, aber nie winkt jemand zurück. Wir blicken mit dem, sie gegen das Licht. Vielleicht sehen sie uns gar nicht. Wir winken nicht aus niedrigen Beweggründen oder unseres Gewissens wegen. Wir wollen auch kein Gemüse. Unser Winken ist nur eine Kontaktaufnahme. Oder ein Abstandhalten. So könnte man das auch sehen. Winken wie die Queen.

 

Schwer_Mut

RehDas ganze Jahr auf dem Rücken. Anna sagt: Halte durch, nur noch ein Tag. Diesen einen Tag trinken wir Gin. Kauen auf Wacholderbeeren. Gehen barfuß auf Nadeln. Riechen den Weihrauch und atmen ihn ein, bis wir aus den Luftröhren röcheln. Die Augen glasig, die Lippen kälteblau und den Mund zu einem letzten Lächeln verzogen. Komm Knirk. Anna verträgt mehr als ich. Sie kann noch die Botanik und hält das Feuer an den Baum. Soll der Baum brennen? frage ich. Nein, die qualmende Rindenhülle soll die Dämonen vertreiben. Ach so. Rutsch mir endlich den Buckel runter.

Ab morgen wird es wieder leicht sein. Was? Alles. Frischer spritziger Mut. Ohne Last laufen. Rennen. Ab morgen renne ich wieder durch den Wald. Wie das Wild, das nicht weiß, wann die Stunde schlägt. Wenn der Wolf lauert. Hierzulande trägt er den Schafspelz, dunkelweiß aus fetter Wolle, die riecht streng und verrät ihn trotzdem nicht. Intensiven Gerüchen gehe ich aus dem Weg. Meine Nase folgt dem Neutrum. Dem Nichtriecher, Nichtstinker, Nichtgeruch. Das Wild macht das Gegenteil. So unterscheiden wir uns. Woher ich meine Leichtfüßigkeit nehme? Das Gehirn schenkt sie mir. Manche seiner Gaben nehme ich dankbar entgegen. Es sagt fliege! und ich fliege durch die kahlen Äste wie ein Reh auf der Nichtflucht.

Anna sagt: Abgedreht. Der Rauch steigt dir zu Kopfe und das Getränk lässt dich Sachen machen wie fliegen. Ich mache den Abflug, sage ich am Ende des Tages. Will alleine sein ohne die Schwere anderer Auren. Meine eigene zieht mich schon zu Boden. Zu guter Letzt hart auf der Erde landen und morgen wieder durchstarten. So muss es wohl sein. Durchfliegen war noch nie mein Ding. Dann bis demnächst.

Eine würdige Pflanze zum Abschluss der dreihundertnochwas Tage: Junniper communis.

Elisabeth, Moni- und Veronika

elsbeereIch und mein Pflanzenkalender.
Die Elsbeere ist mit der Mehl- und Vogelbeere verwandt. Das klingt wie: Die Elisabeth ist mit der Moni- und Veronika verwandt. Schlagen in die gleiche Art. Sind aus dem selben Holz geschnitzt. Das Holz der Elsbeere ist hart aber elastisch. Die Haut von Elisabeth ist zart aber plastisch. Die apfelähnlichen Früchte der Elsbeere sind gekocht oder in sehr reifem Zustand genießbar und bei Vögeln sehr beliebt. Aus ihnen kochen die Damen Schnäpse und Marmelade, die sie gut gelaunt genießen, auf den Schnaps fangen sie an, Lieder zu singen von Vögeln, die Elsbeeren futtern.

In der Pflanzenliteratur* werden die Pflanzen stark vermenschlicht beschrieben. Verwandtschaft. Gesellschaft. Treue. Kultur. Reich. Mega- und Mikro. Ein Beispiel für die Elsbeere (Sorbus torminalis): … eine der wenigen Sorbus-Arten, die nicht bastardiert. Also keine nichtehelichen Nachkommen. Das ist jetzt bei Elisabeth, Moni- und Veronika anders. Sie sind moderne Frauen mit Kindern aus nichtehelichen Lebensgemeinschaften. Die Kinder werden zum Glück nicht mehr Bastarde genannt.

Während die Menschengesellschaft sich hierzulande in Bezug auf Begriffe liberal weiterentwickelt, bleibt die Pflanzen beschreibende Sprache im historischen Slang hängen: Die wurzelbrutbildende Halbschattenbaumart mit collin-submediterranem Optimum meidet feuchte Schattenlagen und geht nicht über 1.000 m. Liefert ein schweres, hartes und zähes Holz für Spezialzwecke.

Welche Spezialzwecke sind gemeint? Elsbeerenbaummöbel? Noch nie gehört. Musikinstrumente aus Elsbeerenholz? Hochelastische Prothesen für Menschenbeine? Whatever.

Elisabeth, Moni- und Veronika und die Kinder lieben die Berge. Vor allem die über 1.000 m, weil da gibt es mehr Felsen und Aussicht auf die leuchtend gelbe Elsbeerenherbstfärbung an den sonnigen Hängen. Die Kinder klettern auf die kalkigen Steine und wieder herunter. Die Frauen picknicken. Ihre Verwandtschaft ist eine gewählte. In ihren Augen spiegeln sich Aufrichtigkeit und Achtung vor der Aura der anderen. Außenstehende könnten sie leicht für Schwestern halten, so vertraut sind sie. Als wären sie zusammen aufgewachsen. Als wüchsen und stünden sie wie ein kleiner Hain aus Els-, Mehl- und Vogelbeere. Sie wachen mit aufmerksamem Blick über ihre Brut neeee, Kinder, damit sie sich nicht stoßen oder stürzen. Die Kinder sind wild. Haben noch keine festen Wurzeln. Wachsen noch eine Weile. Ihr Geist soll frei sein. Kein Einsatz für Spezialzwecke ist für die Kinder geplant. Sie sollen machen was und wo immer sie wollen. Elsewhere.

*Lexikon der Baum- und Straucharten, P. Schütt, H.J. Schuck, B. Stimm, 2011

Kiosk

KioskAn diesem Kiosk kann man nix kaufen. Es ist nur eine Schrift auf einem Haus. Graffity? Lenke meine Schritte zur besprühten Wand und suche einen Eingang. Lasse meine Finger über den Verputz gleiten. Vielleicht gibt es eine versteckte Tür. Während mein Gehirn schon mental abwinkt, will ich nicht wahrhaben, dass dies eine Irreführung ist. Sprühe Kiosk auf eine Wand und gehe Zigaretten kaufen. Komme nicht zurück. Bleibe in der Welt in des Virtuellen. Wer gibt mir diese affirmativen Anweisungen? Kiosk ist ein Geniestreich.

Seit ich Kafka und Breton gelesen, später Matrix gesehen habe ist der Konjunktiv für eine Parallelwelt relativ. Mag sie Kiosk heißen. Hier kann ich einfach alles kaufen. Was will ich denn? Ich will alles. Alles was es gibt. Süßigkeiten, Menschen, Abenteuer, Berge, Gelegenheiten, Klamotten, Diamanten, ein Flug zum Mond, ein Rendezvous mit Michael Fassbender, Klarheit über den Google Algorithmus, Weltfrieden. Was kostet der? Die Stimme aus dem Off sagt, entscheide selbst. Weil Einheitspreise Schwachsinn sind und hier im Kiosk soll kein Schwachsinn sein. Auch keine Schnäppchen. Alles hat seinen Preis.

Wichtig ist noch: dieser Kiosk steht in einem Dorf an der Sieg. Die Sieg ist ein Fluss, keine Errungenschaft. Tritt oft über ihre Ufer und ist als Schwemmlandschaft sehr attraktiv. Wild. Das Unterbewusste vermutet in diesem Ort kein Ding wie diesen Kiosk und kann es deshalb nicht so schnell bagatellisieren. Es fährt sozusagen voll an die Wand. Ein passendes Bild für ein Tal entlang des Gewässers, in dem unzählige Kerzen am Straßenrand brennen, um der Toten zu gedenken, die hier ihr Leben ließen. Wie aus einer zu schnell zirkulierenden Zentrifuge werden sie an die Bäume geschmettert und sterben. Was mich auf den Gedanken bringt, dass hier ein Trauernder sein sprühendes Unwesen treibt. Tränenden Auges sprüht er Gedenken. Nennt es hier Kiosk. Zieht Aufmerksamkeit. Damit alle glauben hier gibt es was.

Ich fahre in die umliegenden Dörfer und finde weitere: Waschsalon, Bar, Parkhaus, Imbiss, Kita, Kino und Blumen.

Ganz anders

ganz anders2Mitten im Wald eine blonde Frau. Sie stolpert durch das raschelnde Laub, hier ist kein Weg. Wie hat sie mich gesehen. Meine freie Hand greift nach dem Messer. Die kalte Klinge auf meiner Haut. Die Frau ruft Hallo? Wo ist mein Unsichtbarmantel. Ach ja ich habe keinen. Auch kein Mitri Kettenhemd. Meine Masche ist neben den Wegen durch den Wald zu gehen. Damit mich niemand sieht. Und jetzt kommt die da. Meine Tarnung ist Makulatur.

Als sie über einen Ast fällt frage ich was ist. Sie hat sich verlaufen, das ist alles. Will dorthin wo sie gerade herkommt. Ihr Atem riecht nach Alkohol, doch ihr Blick ist klar. Er folgt meinem ausgestreckten Arm. Dort über den Acker, dann den Anger hoch. Sie nickt dankbar, geht. In ihrem Haar Blätter. Hinter den Bäumen geht die Sonne unter. Das letzte Gold auf den Stämmen der Buchen. Mein Messer blitzt. Schneidet in einen späten Apfel, süß läuft der Saft heraus.

Die Frau läuft im Kreis. Schon ist sie wieder in der Lichtung. Nicht dort wo sie will. Ihre Orientierung ist hin. Meine nicht. Ich gehe zu ihr. In ihren Augen erhasche ich einen Blick auf ihre Seele. Sie ist nicht wie ich. Ihre Liebe ist wie ein Dieb, sie stiehlt sich was sie kriegen kann. Gierig fiebert sie auf die nächste Gelegenheit. Ich führe sie zur Markierung und lasse sie die Farben sagen. Rot Weiß noch drei Kilometer. Immer den Weg entlang. Sie geht. Gehorcht mir wie ein Kind. Ist gewohnt zu tun was man ihr sagt. Ganz anders als ich.

Ich stehe mit meinem Messer auf dem Weg und sehe ihr nach. Schiebe sie mit meinem Willen weg von mir. Will sie nicht wiedersehen. Dieses Mal kommt sie nicht wieder.

Erleichtert bleibe ich eine Weile. Warte auf die Dämmerung. Im Unterholz scharren die Schweine. Sie werden kommen sobald ich gehe. Mit ihren Rüsseln nach Eicheln wühlen. Die Erde zu ihrer erklären. Es ist ihre. Jedenfalls mehr als meine.

Als ich fast im Tal bin höre ich sie. Es sind viele. Ihre borstigen Körper schleifen an den Büschen und sie grunzen wie es sich gehört. Wilde Schweine. Große und kleine. Nicht meine Welt. Bin schließlich keine Jägerin. Nur eine Waldläuferin abseits der Wege.