Champagner mit Judith Butler

Die Ethik und Politik der Gewaltlosigkeit

Judith Butler live in Köln, das ist ein Fest für mich und meine Freundinnen Anna, Micha und Andi. Mit Hingabe, Lust und Laune wuchten wir unsere performative Geschlechtsidentität in die Aula der Universität und können sie gleich wieder als löchrigen Käse neben uns ablegen. Wir sind dem Butler-Charme ausgeliefert und haben Tränen der Rührung in den Augen ob unserer aller Verletzlichkeit.

Sie wird die „Ikone der Genderforschung“ genannt und festgemacht wird ihr Ruhm an der Infragestellung der binären Geschlechtlichkeit und der herrschenden Heteronormativität. Wir kennen das Leid am eigenen Leib. Wir sind auf Fruchtbarkeit und Empfängnis festgeschrieben, wo wir Lust und Wonne doch ganz woanders empfinden. Naja, so sagt sie, wir arbeiten eben noch an unserem postsouveränen Subjekt.

Butler spricht deutsch, macht sich damit selbst verletzlich und erzeugt eine Atmosphäre der Nähe im Saal der deutschsprachiger Anhänger/innen, die sich auf einen schweren Pokal englischsprachiger Philosophie eingestellt haben und einen munter perlenden Champagner serviert bekommen.

Dabei geht es im Vortrag „Die Ethik und Politik der Gewaltlosigkeit“ um das Leben selbst, den Anspruch auf Unversehrtheit ohne Wenn und Aber. Es geht um Gleichwertigkeit, um die Betrauerbarkeit eines jeden Lebens, ohne definitorische oder kontextuelle Ausnahmen aufgrund von Macht, Gesetz oder Status. Butler sagt, das Konzept von Menschlichkeit fällt je nach Kontext unterschiedlich aus. Ihr Begriff Betrauerbarkeit misst sich an der radikal ungleichen Verteilung dessen, was als betrauerbar angesehen wird.

Judith Butler fordert uns auf, eine aktive Haltung zu kultivieren, den Verlust jeden Lebens zu verhindern. Sie fordert und auf zu kritischer Geduld. Selbsterhaltung ist immer an die Gewaltlosigkeit gegen andere gebunden.

Da vorn am Pult spricht Butler auch mit ihren Händen. Wir lauschen und schauen. Meine Freundinnen und ich sind hingerissen. Berührt. Gerührt, nicht geschüttelt. Aber wir ahnen: Sich diese kritische Geduld zu erarbeiten: leicht wird das nicht.

  • Heute Abend in einem weiteren Vortrag „Verletzlichkeit und Widerstand neu denken“ live oder per livestream zu erleben: Judith Butler in Köln, 19.30 Uhr.

Süßer Filz

Schokopralinen aus Filz
Schokopralinen aus Filz

Habe mein Trampolin auf die Terasse gestellt weil morgen der Frühling kommt. Einfach nur hüpfen, oder? Das Gehirn im Frühling – eine Reise wert. Die düsteren Farben dominieren, was ist schon ein leuchtend rosa blühender Pfirsichbaum auf einem schwarzen Schieferfeld? Eine Wonne gerade wegen des dunklen Hintergrunds.

Auch Frühlingsanfang: Im Wald viele Zitronenfalter auf der vergeblichen Suche nach Zitronenbäumen.

Meine zwei Blogs überfordern mein Gehirn, es bringt die Rollen durcheinander. Zitiert Klassik statt Moderne. Heute wieder gefacetimed. Das wird die Zukunft des Telefonierens sein. Mir kam es vor wie interaktives Fernsehen. Doof, wenn die anderen mich sehen.

Bin krank. Unentschlossen. Was macht das Gehirn wenn der Kopf schmerzt? Manchmal geht mir die symbiotische Anhänglichkeit meines Gehirns ganz schön auf die Nerven. Alles will es gemeinsam machen, alles wissen. Ich bin auf Symmetrie getrimmt und finde immer etwas. Wenn nicht, denke ich mir was aus. Kann ich vor meinem Gehirn ein Geheimnis haben? Stoße ich jetzt mal an meine Grenzen? Ein Ponyhof für die Vorstellung von einem in die Grenzen gewiesenen Gehirn.

So mit dem Gehirn beschäftigt, dass ich vergesse über es zu schreiben. Es hätte mich erinnern können, oder? Eine gute Entscheidung, dem Gehirn kein männliches oder weibliches grammatikalisches Geschlecht zu geben. Es bleibt es.

Die Symbiose von Musik und Literatur ist immer wieder ein Erlebnis. Die grauen Zellen tanzen. Monk. Jazz. Dyers. Beautiful. Musik und Sprache sind Syntax und in beiden Hirnhälften angesiedelt. Diese Gemeinsamkeit macht mich glücklich.

Solange sich die Hirnforschung noch als Leitwissenschaft fühlt (!) gebe ich meinem Gehirn eine Chance. Wer sein Gehirn quälen möchte serviere ihm Reiseis. Es schiebt den Ekel voll auf die Geschmacksnerven. Die Pralinen sind aus Filz.

Ich fotografiere Muster in der Natur, mein Gehirn hilft mir sie zu finden. Ein toter Plastikvogel.

Im Album finde ich ein Schaffoto. Nein das ist nicht meine Familie.

Mein Gehirn verweigert mir vehement die Erinnerung an seine Kindheit. Stimmt nicht. Schon früher mochte mein kleines Gehirn gerne Musterkataloge für Farbmischungen, Tapeten und Stoffe.

Das Unbewusste lügt nicht sagt der Kernspintomograf, aber wen interessieren diese Facts außer der Maschine?

Brauche weder Herr noch Haus, mein Gehirn aber schon. Bio oder konventionelle Vita, das ist wie Apple oder Microsoft keine rationale Entscheidung, sondern eine gesunde. Ein Dopaminbonbon als Anerkennung für dein Wohlverhalten. Du bist süchtig danach, stimmt´s?

Das Licht kommt jetzt von Norden

So hieß vor einigen Jahren eine Ausstellung skandinavischer Maler und das nordische Licht verzauberte alle, die in seinen Bann gerieten. Auch mich. Seitdem bin ich irgendwie anders. Ich versuche das mal zu erklären.

LichtnordenDie Verzauberung dringt durch meine Augen in die Gedanken, die ich gerade denke. Ich stehe vor einem Bild. Das Bild zeigt eine Frau mit heller Haut. Sehr hell, fast weiß. So eine Haut habe ich noch nie gesehen oder berührt. Vielleicht gibt es im Norden Menschen mit dieser Haut denke ich gerade als die Verzauberung mich trifft. Also nichts besonders Ausgewöhnliches, Intelligentes oder Originelles. Mein gut erzogenes Gehirn denkt einfach angemessen zur Ausstellung, stellt gewöhnliche Assoziationen her und kramt etwas träge nach Analogien aus der Vergangenheit. Es gibt mir eine Erinnerung aus Dänemark. Einen leeren Strand mit Heckenrosen, hinter denen sich die Menschen vor dem Wind geschützt sonnen. Die Rosen wachsen auf Sand und ihre Dornen sind sehr spitz. Mehrere Male habe ich in Dänemark Dornen aus meinem Daumen gedrückt.

Ich sehe die Dänen mit ihren hellen Haaren und ihrem freundlichen Blick. Ich bemerke die Sommersprossen auf ihren Schultern. Aber niemand hat diesen Teint wie hier die Frau auf dem Bild. Ein unsichtbarer Stahl aus Licht baut sich zwischen uns auf. Er ist erst ganz dünn wie eine Schnur aus Rauch, wird dann zu einer filigranen Spirale aus Hanf und schließlich ist er dick wie eine Wand und genauso stabil. In dem Moment überlege ich nicht. Ich ziehe einfach den Strang hinter mir her. Aus der Ausstellung raus auf die Straße. Keiner guckt komisch.

Das liegt daran, dass nur ich ihn sehen und fühlen kann. Er knebelt mich nicht, er schränkt mich nicht in meiner Bewegungsfreiheit ein, er ist nur einfach eine weitere Windung in meinem Hirn. Dieses neue Hindernis wirft andere Schatten auf die Eigenaktivität meiner Neuronen. Sie erzeugen jetzt weißes Licht, die Summe aller Farben. Ein angenehmer Nebeneffekt ist außerdem, dass ich glücklich bin. Das weiße Licht, die weiße Haut, alles ohne Sonne, machen meine Seele froh. Ich weiß dass das verrückt klingt. Genau so ist es aber gewesen. Ist es bis heute.

Ein wenig von diesem Licht reicht und ich werde zum Weichei. Bin ganz verzückt vor Wonne. Jedes Mal ein kleines Wunder.

Es schmerzt mich sehr wieder loszulassen. Für diese Geste habe ich lange geübt. Am liebsten würde ich mich aufkleben und es atmen. Aber ich kann mich wieder lösen und bin einigermaßen stolz darauf. Niemand will nicht nicht wieder losgelassen werden. Außer von Sachen die sonst niemand sieht. So wie ich von diesem nordischen Licht. Es darf in mir sein. Manchmal wundern sich welche warum ich mich so vertiefe. Doch dann ist es ja auch wieder normal. Jede und jeder vertieft sich mal. Taucht ein und wieder auf. Wie ein Kind, das spielt. Taucht in eine andere Welt und wird dann zum Essen gerufen. Tut so als säße es am Tisch und träumt doch seinen Traum weiter.

Wo fängt der Norden an? Na hier, direkt einen Meter nördlich von mir.