Schon morgens ist es heiß. Die Luft steht wo sie gestern stand. An meinem Schreibtisch. Erst schaut sie mir über die Schultern, dann legt sie sich schwer darauf. Hinter mir ist Alaska, der Ventilator. Alaska verspricht eine kühle Brise, aber das ist nur eine Assoziation. In Wirklichkeit wirbelt er warmen Wind umher und ein paar lose Blätter Papier.
Im Raum ist ein surrender Ton. Klingen so die Bienenwiesen in Alaska? Ein junger Forscher hat vier Jahre lang die Geräusche der Wildnis aufgenommen, ein Biologe mit Bart. Er präsentiert die Geräusche wie ein Geschenk. Es sind Insekten, Vögel und Bären zu hören. Die Bären kratzen am getarnten Mikrofon und sabbern es voll. Ein lustiges Scharren und Schlecken. So klingt die Natur, sagt der Forscher. In seinen Augen blitzt ein Schalk, denn er weiß natürlich, dass es in der freien Wildbahn normalerweise keine Mikrofone gibt. Also stimmt dann seine These, dass die Aufnahmen so sind als wären keine Menschen anwesend? Geben alle, die da normalerweise über die Wiese gehen, völlig unbefangen ihre Geräusche von sich? Der Forscher nickt. Er sagt, das Mikrofon ist wie ein Busch. Außer dass es Laute aufzeichnet.
Mit letzter Gewissheit könne man natürlich nicht sagen, ob die Anwesenheit eines Mikros für die Geräuschemacher so ist als wäre es nicht da. Für den Wind trifft das zum Beispiel nicht zu. Der bricht sich am Gerät und pfeift. In freier Fahrt würde er wahrscheinlich ganz anders klingen. Oder gar nicht. Oder nicht für menschliche Ohren wahrnehmbar. Oder nicht mit menschlicher Technik aufnehmbar.
Der Biologe streicht nervös seinen Bart. Das sind einige thesenfeindliche Umstände, die eventuell seine Doktorarbeit gefährden könnten. Vielleicht sollt er den Titel ändern. Die vier Jahre Geräusche will er nicht in den Wind schreiben. Ausgerechnet der Wind. Damit hat er nicht gerechnet. Ein Tier schon, weil es da um Intelligenz, Aufmerksamkeit und Neugier geht – aber der Wind?
Jetzt am Nachmittag habe ich mich an die Hitze gewöhnt. Alaska ist heißgelaufen und ich stelle ihn ab. Endlich Ruhe.
Dass der Mensch immer diese Sehnsucht hat, Dinge zu sehen oder zu hören, ohne dabei zu sein. Wie wäre es damit: Der Mensch ist, wenigstens zu einem Teil auch Natur. Warum dann nicht auch sein Mikrofon. Ansonsten gilt: Entweder ich bin da oder nicht. So ergeht es nun mal jedem Lebewesen auf dieser Erde. Einen Blick durchs Schlüsselloch gibt es nicht. Und: Wir sind der Natur ziemlich schnuppe. Ich würde sagen: Sie klingt, wie sie klingt, mit oder ohne uns.
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Grandios. Sehr leicht und kreativ geschrieben.
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Thanx Someone ‘preciate 😊
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