betörend

betörend

Scheißblumen. Ihr Geruch kitzelt in meiner Nase, dann kriecht er in die Augen, verflüssigt sich auf fiese Weise in eine ätzende Rotumrandung und verzieht sich. Was ist fragt eine hochmotivierte Problemlösungsfrau. Es sind nur die Blumen sage ich. Es sind nie nur die Blumen sagt sie. Von wem sind die überhaupt. Sind schön. Ja Lilien. Betörend. Haben nix zu bedeuten. Liegen oft auf Gräbern und verwelken. Draußen drängt sich der Duft nicht auf. Also von wem. Von einem von dem ich keine will. Ach so bist du sicher. Mein glühender Blick tut weh. Ich weiß ja wohl von wem ich gerne Blumen hätte. Und welche. Ja genau. Welche denn. Rosa Buschrosen. Die duften auch aber angenehm ohne Nebenwirkungen. Früher haben wir sie in dicken Sträußen nachts im Park gepflückt. In den Sommerferien in Dänemark haben wir in ihrem Schutz in der Sonne gebadet. Uns ihre spitzen grünen Dornen aus der Haut gezogen. Ihre seidenen Blüten zwischen Daumen und Mittelfinger zerrieben.

Oh das scheinen sehr schöne Erinnerungen zu sein. Du willst wissen was da lief. Nun ja es reicht um diese Buschrosen für immer und ewig zur besten Blume aller Zeiten zu machen. Sie sind unpraktisch. Halten sich nur einen Tag. Ist dir diese Problemlage zu unakademisch. Die falschen Blumen von der falschen Person. Das ist alles. Es macht dich traurig jetzt mal abgesehen von der Allergie. Ja so wie mich Zwiebeln schneiden traurig macht. Es brennt. Weißt du sagt sie es wäre viel blöder wenn dir die falsche Person die richtigen Blumen schenkt. Dann wäre es klar dass deine olfaktorische Prägung deinem Blick ein Bein stellt. Du denkst wegen der Blumen an einen Wink des Schicksals gar an Magie und dann merkst du nicht mehr dass du komplett falsch liegst. Und was wenn dir die richtige Person die falschen Blumen schenkt. Soll das eine logische Schleife werden. Es wäre doch immerhin möglich. Dass diese Lilien richtig sind. Nein. Sind sie nicht.

wir drei

wirdrei

Elegant wie die Echse sich nicht bewegt. Verwegen wirkt sie. Anna blickt sie neidisch an. Eine Haut wie eine Tasche mit winzigen rosagrünen Applikationen. Wir müssen mindestens zweimal hinschauen um die wunderbare Arbeit äh das mondäne Muster wahrzunehmen. Sie ist so starr dass unsere beiden Gehirne an ihrer Echtheit zweifeln, sie flüstern uns parallel ein hey Mädels die Echse ist nicht echt. Der Witzbold von Parkwächter hat eine Plastikfigur in die Blätter gestellt um uns zu foppen. Wahrscheinlich wartet er nur darauf dass wir sie anfassen dann wankt er wie ein Wahnsinniger durch den künstlichen Dschungel und enthüllt seine getigerte Wäsche. Gerade als wir uns amüsiert zublinzeln wollen blinzelt die Echse. Eine waschechte Wasseragame. Wunderschön.

Meinst du ich kann sie anfassen. Mit ihren fleischig lackierten Fingernägeln nähert sich Anna den Stacheln des Tiers. Sie ist immer die Mutigere. Will den Leuten jetzt der Echse ans Innere. Die zeigt uns ihre rosa Zunge in ihrem rosa Maul, oh so zart und zerbrechlich, so zärtlich und zäh zugleich. Macht einfach den Mund auf. Anna ist mächtig stolz, ich eher andächtig. Wir wissen beide nicht was wir tun. Was will sie flüstert sie. Wer weiß das schon bei einem Monster, meistens ist es marode und menschlich nicht nachvollziehbar. Anna zieht eine winzige silberne Trinkflasche aus ihrer Tasche, ich einige Apfelstückchen. Ein Schluck ein Trick. Trester und tolle Erlebnisse die nachher als Traum durchgehen. Wir füttern das Vieh. Süß spritzt der Saft und die Säure. Wir drei. Sitzen hier in der Hitze.

 

cruel nature II

pfeifenblume

Anna schreit es regnet Schildkröten. Kleine handtellergroße blutige Klumpen klatschen vor ihre Füße. Entsetzt sieht sie nach oben, ihr erstarrter Schritt auf grausigem Pflaster weiß nicht wohin. Platsch! Schon wieder ein zerfetztes Krötengeschoss mit gebrochenem Panzer. Ein heiserer Schrei aus ihrer Kehle. Oben hört sie Krähen krächzen, schwarz hüpfen sie auf den Dachpfannen herum, jonglieren mit ihrer Beute aus dem seichten Teich, werfen sie auf den Asphalt wie sie es mit Walnüssen tun um ihre Schale zu knacken. Dann picken sie das Weiche heraus. Anna steht wie eine Vogelscheuche im Gemetzel und telefoniert. Mit mir. Soll ich die Feuerwehr anrufen. Gibt es keine Parkwacht. Doch und schon fängt sie an zu kreischen dass es mir im Ohr fiept und ich stelle sie mir vor, wie sie mit ihrem schicken Kostüm und ihrer Tasche im Ellenbogen mitten auf dem Platz steht, wild mit den Armen fuchtelt während um sie herum kleine Wasserschildkröten zu Tode stürzen und schwarzes Gefieder flattert.

Später sitzen wir im Parkcafé. Anna kippt nach anachronistischer Damenart einen französischen Cognac für den Schock und ich ihre Freundin trinke mit. Es stimmt. Sie spinnt nicht. Tatsächlich haben die Krähen die teuer nachgekauften Schildkrötenbabies aus dem Teich gefischt und nach alter Manier vom Schlossdach geschleudert. Man sagt sie tun das auch mit neugeborenen Lämmern, wenn der Schäfer oder sein Hund nicht auf der Hut sind. Hier hat niemand damit gerechnet, dass die Raben kommen und die Kröten rauben. Auch der Parkwächter nicht. Die Vögel sind nicht wahnsinnig nur hungrig. Er muss den Dreck wegmachen, weint vor Wut und gleichzeitig würgt Trauer seinen Hals. Die zersplitterten Panzer vergräbt er tief in der Erde.

Bromhimerdbeer

hmml1Jedes Jahr in der Erntezeit gerate ich in einen Rausch. Letztes Jahr denke ich es gibt außergewöhnlich viel zu holen. Dieses Jahr gibt es ungefähr dreimal soviel. Habe schon Ringe unter den Augen vom genauen Hingucken. Erst Erdbeeren nah an der Erde, etwas höher dann Himbeeren und bald schon Brombeeren. Die Beeren bewirken eine Beschleunigung meines Bewegungsapparats – ich schwinge mich kurz nach Sonnenaufgang auf mein Fahrrad, nachdem ich schon die halbe Nacht wach liege und mir Verwertungsvarianten ausdenke, virtuell mit Aromen experimentiere, hinzufüge, verwerfe, einrühre, auspresse. Mein Schlafgefährte macht seltsame Geräusche, ein Summen wie die Hummeln.

 

hmml2Er hat sie auch gesehen – sie sind wahnsinnig vor Gier und Glück. In voller Fahrt fliegen sie in die schwülen Kelche, rosa vor Aufregung und wühlen sich in den üppigen Pollen. Oben und unten, Schwerkraft spielt keine Rolle mehr, sie wälzen sich in der Paste, sie klebt ihnen am Pelz und sie können nicht genug davon kriegen. Ich löse mich vom Anblick wohliger Wärme und feinstaubverklebter Fühler, fahre dorthin, wo sich schwarzglänzende Früchte schwer über die Dornen neigen. Ich will sie alle.

Ganz hinten oben hängen die besten.

hmml4

 

 

Sie sind schwer erreichbar. Ich wuchte mein Fahrrad ins Gebüsch und steige darauf auf. Es schwankt in der Hecke. Jetzt bin ich mindestens Einmeterzwanzig größer und sehe aus wie eine dieser Puppen, die im Karneval auf Stelzen laufen. Mein Gesicht eine Maske, beerensaftverschmiert der Mund, rote Spritzer auf der Haut, Spinnweben in den Haaren. Hexe. Ich glaube das hat gestern ein früher Gassigeher geflüstert, als er über meine Tupperdosen gestolpert ist. Ich schenke ihm ein schreckliches Grinsen und geschwind zieht er seinen Grauhaardackel weg. Wenn die Eimer voll sind, meine Arme zerkratzt, die Fingernägel und Hosenbeine eingerissen, fahre ich wieder nach Hause, wo der Geliebte noch schläft. Gut. Sähe er mich so wäre er nicht mehr sicher.

hmml6Später bewundert er die sauberen Gläser dunkellila Gelee, schmeckt die erdige Süße und leckt die Tropfen vom Tisch.

 

Wanderdüne

schönes Kleid

Sehr wahrscheinlich hat ein sensibler Mensch definiert was eine empfindliche Pflanzengesellschaft ist. Ein Mann namens Manfred, der mit Mitte Vierzig noch bei seiner Mutter wohnt und ganz zufrieden damit ist. Seine Analogie ist sehr persönlich und gleichzeitig objektiv wissenschaftlich, das redet er sich zumindest ein. Die Vergesellschaftung von Pflanzen findet durch brutalen Wettbewerb und rücksichtslose Auslese statt, um sich einen optimalen ökologischen Standort zu sichern. Das System ist konstant, solange der Mensch nicht mit Chemie oder grober Gewalt hineinpfuscht, das Klima konstant ist oder Bienen fremdartige Pollen fallen lassen, die dann mit aggressivem Marketing neue Wettbewerbsbedingungen schaffen. Da Manfred die (un)menschlichen Marktgesetze kennt, erklärt er empfindliche Pflanzengesellschaften für schützenswert. Die Menschen, also diejenigen, die Natur mögen und achten, also die aufmerk- und in gewisser Weise ebenso empfindsamen wie Manfred, akzeptieren diesen Schutz. Sie würden niemals auf diskret eingezäunten Wanderdünen herumtrampeln und die ledrigen Gräser (zer)stören.

Manfred erklärt, dass er noch weit vom Perfektstadium entfernt ist. Das habe ich ihm bereits aus einiger Entfernung angesehen, wundere mich aber über den Gebrauch des Wortes „noch“, weil ich glaube er hat es schon lange überschritten. Aber auch er lebt in seiner eigenen Welt und da will ich nicht einfach so reinplatzen und behaupten die Dinge sind so und so. Vielleicht denkt er ja in Erdzeitaltern. Sieht seine Persönlichkeit als seltsame Pflanze und den Ablauf seines Lebens in mehrere Ären gegliedert, diese wiederum in Systeme, Perioden, Formationen, Stufen und Abteilungen unterteilt. Während Manfred mir das erzählt, überlege ich, ob ich ihm gegenüber als Enzym agieren soll. Als Biokatalysatorin würde ich seine Gewohnheiten zeitlich beschleunigen. Mit meiner Aktivierungsenergie würde ich Manfred aus der Bahn werfen. Mein Gehirn sagt nein. Es ist mal wieder auf Empathie geschaltet und empfiehlt mir, kurz Manfreds Perspektive einzunehmen und so schlüpfe ich in diese anfangs erwähnte Analogie. Stimmt. Aus Manfreds Sicht bin ich eindeutig ein nicht erwünschter Fremdkörper, ein Eindringling, der seine Empfindlichkeit verletzt. Trüge ich ein schönes Kleid würde er an Blütenstände denken. Ich drossle also mein aktives Interesse auf freundliche Höflichkeit und sage ich muss jetzt leider los weil ich muss noch meinen Rasen sprengen äh meine Pflanzen gießen.