Grüne Grenze

Anna staunt. Das sieht lustig aus bei ihr denn sie reißt theatralisch ihre Augen auf und schnappt nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Völlig übertrieben und wahrscheinlich finde nur ich es witzig. Also ich lache jedenfalls weil ich weiß worum es geht. Es gibt hier tatsächlich eine Grüne Grenze und sie ist unbewacht, offen, freizügig nennt man das glaube ich. Sie liegt zufällig auf unserem Weg von der Schweiz zurück ins Heimatland, obwohl Anna ist Halbitalienerin, daher auch ihre Veranlagung zum Pathos.

grüne grenze

Es ist uns ein Rätsel dass wir hier einfach passieren können. Zweihundert Meter weiter ist ein bewachter Zollposten an einem regulären Übergang. Wir blicken auf unsere Einkaufstüten und auf die Uniformierten, die nicht in unsere Richtung schauen. Dann nehmen wir eine übertrieben gelassene Haltung an und laufen einfach drüber. Niemand interessiert sich dafür. Alles Mögliche könnte in unseren Taschen sein aber keiner will es wissen. Tatsache ist dass überhaupt nix drin ist was wir auch annäherungsweise anmelden müssten weil wir nur ein paar Tüten Nudeln und ein paar Tafeln Schokolade gekauft haben. Aber allein der Gedanke.

Anna sagt dass ihr die Schweiz jetzt noch sympathischer ist. Diese Demonstration von Offenheit ohne Ankündigung. Sie möchte gerne zurück, etwas Unerlaubtes kaufen und dann nochmal über die Grüne Grenze. Was denn frage ich. Es ist Samstagnachmittag und fast alles ist zu. Es muss etwas Kleines sein, eine Uhr oder Medikamente, die bei uns verboten sind. Wir müssen lachen weil unsere Fantasie begrenzter ist als die Grenze selbst. So anständig und unbescholten. Wir sind langweilig sage ich. Ja sagt Anna, total.

Die Sache mit der Grünen Grenze nagt an Anna. Ich frage sie was sie hat. Diese blödste aller Fragen. Aber sie antwortet. Sie sagt lass es uns in der Nacht machen. Was machen? Na ja noch einmal über die Grenze gehen und gucken ob jemand da ist. Ich rolle meine Augen, habe keine Lust. Alleine will sie nicht. Der Weg ist nicht beleuchtet, unheimlich zwischen dem dies- und jenseitigen Parkplatz. Keiner da. Auch jetzt nicht. Alles könnte hier rübergetragen werden. Aber niemand geht oder trägt. Keiner kontrolliert. Anna raunt vielleicht überwachen die elektronisch. Mir reicht es. Komm sage ich, hör auf mit dem Agentengequatsche. Gehen wir lieber was trinken.

Nach dem achten Anisschnaps lallt Anna, haha das war irgendwie aufregend auch wenn es nur in unserem Kopf stattfand. In ihrem Kopf denke ich und bin froh dass wir morgen wieder nach Hause fahren und nur von Grünen Grenzen umgeben sind, die wir gar nicht mehr bemerken und die bei Anna keine Aufregung hervorrufen.

Ausweg

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Eine Frau aus dem Ort erlebt eine Enttäuschung und geht dieses Mal fast an ihr zugrunde. Was genau passiert ist weiß sie nicht, weil sie den Faden zur Realität verliert und sich Dinge einredet. Es ist keine Projektion, sondern Irrglaube. Nicht im religiösen Sinne, sondern im metaphysischen, also der Glaube an die Wahrscheinlichkeit wie Geschehnisse voneinander abhängen und was dann wirklich geschieht. Es gibt keine einzige authentische Person in diesem Drama, alle sind verfremdet, damit sie Dinge so dichten oder weglassen kann, dass es ein spannendes Drama wird. Die Geschichte hätte sich genau so zutragen können. Alle die sie gut kennen, wissen sowieso Bescheid und stellen andere Zusammenhänge her als diese Frau. Die Fiktion in ihrem Kopf funktioniert nun einmal so. Trotzdem ist die Häufung von Enttäuschung schwer zu verkraften.

IMG_2422Sie selbst könnte sich unentwegt ans Bein pinkeln, ans Schienbein treten oder sich ohrfeigen – aber sie hat eine andere Lösung für ihr Seelenheil gefunden. Das ist auch wieder weniger religiös gemeint als es klingt, auch wenn das jetzt noch getoppt wird durch die Offenbarung, dass sie Erlösung auf einem Weg findet, der jahrhundertelang als Kreuzweg in Nachahmung des Heilands Leiden seine Kurven bergan führt – der Petersberger Bittweg. Der religiöse Kontext des Bittwegs spielt keine Rolle. Höchstens im Sinne von persönlicher Interpretation und der Tatsache, dass die Frau schon irgendwie glaubt, das Büßen und Bitten auf diesem Weg hat eventuell einige unsichtbare Spuren hinterlassen.

Der Weg eignet sich deshalb so gut für einen Krisenüberwindungsprozess, weil er steil ist. Enorm steil. Schweißtreibend steil. So steil wie man es im Siebengebirge nicht unbedingt erwarten würde. Viele, die eher an Märchen glauben sagen der Bittweg ist verwunschen. Einerlei, wie oft sie auf und ab läuft, sie findet ihn genauso faszinierend wie am ersten Tag. Sie hat sich in ihn verliebt. Leider ist er nur ein Weg oder vielleicht auch gut so. Er verändert sich nicht. Er bleibt wie er ist und wird weiterhin der sein, der er schon immer war. Der Ausweg. Der Weg aus der Krise. Das hofft und daran glaubt sie.

feinschichtig gefrittet

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Hier im Rheinland heißen Pommes Fritten und seit gestern weiß ich warum. Es ist eine dieser Geschichten, für die man keinen Grips braucht sondern nur einen klaren Blick auf die Geologie. Genau. Gestein, das aussieht wie Fritten aus der Fritteuse.

Abgesehen davon, dass der rheinische Dialekt auch einen gewissen französischen Einfluss in sich trägt, ich denke jetzt an Plümmo (für Bettdecke) und die Fritten auch von Pommes frites abstammen könnten, gibt es im Siebengebirge Steine, die aussehen wie große eckig geschnittene Kartoffelstücke und mit dem geologischen Terminus technicus feinschichtig gefrittet beschrieben werden. Es wird ja wohl kaum so gewesen sein, dass ein früher Fast-Food-Fetischist erst einen Blick auf seinen Teller warf und dann die Analogie von den Fritten zu seinem Studienobjekt herstellte, das sich da in aller Herrlichkeit vor ihm auftat. Basalt-Blöcke, schräg geschichtet – von Original Frittengröße bis hin zu Dreimeteroschis.

gefrittet3Nein, es war genau anders herum: Ganz versunken in wissenschaftlicher Kontemplation knabberte der Gesteinskundige an seinen Kartoffelecken und nannte das bis dahin namenlose Gericht fortan Fritten. An der Kurzform tat er gut, denn eine Bezeichnung wie Feinschichtig Gefrittete hätte sich nicht bis in die heutige Zeit halten können. Ganz vernachlässigen kann man die Tatsache, dass die Basaltblöcke sechseckig sind. Den analogen Schluss stört das nämlich nicht im Geringsten.

gefrittet2Wegen dieser und anderer geologischen Großartigkeiten hat das Siebengebirge 1971 ein Diplom bekommen: das Europäische Diplom für geschützte Gebiete. Angemessen für ein Gebirge hat es der Europarat als Felsbrocken geliefert. 2006 wurde das Siebengebirge dann noch in die Liste der Nationalen Geotope aufgenommen. Damit ist es Anwärter auf die Auszeichnung Weltkulturerbe – wenn es regelmäßig seine jährlichen Berichte schreibt, in dem es glaubwürdig darlegt, dass sein akademischer Grad noch up to date und von einer gewissen Nachhaltigkeit geprägt ist. Einem Gebirge dürfte das nicht schwer fallen. Gemessen an seinen geologischen Gepflogenheiten ist es durch diese jährliche Geschichte etwas gestresst, aber es mag den Platz seines in Stein gemeißelten Status dort auf der oberen Terrasse und die vielen Bewunderer, die mit ihrer menschlichen Haut über seine Oberfläche streichen.