Hype

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Ständig stolpere ich über Hyperbeln. Entweder ich unterschätze ihre Größe oder sie stellen sich mir blitzschnell in den Weg so dass es keine Ausweichmöglichkeit gibt. Diese eine habe ich jetzt eine endlose Woche lang beobachtet. Während ich sitze und auf sie starre vergeht die Zeit wie im Schneckentempo. Ich langweile mich zu Tode. Aber ich kann nichts machen, sie sitzt in meiner Wohnung wie ein im Nachhinein eingebauter Bunker aus Beton. Bietet mir die totale Sicherheit wo ich doch gar keine will. Auf ihrem Schulterblatt hat sie einen heiteren Spruch tätowiert. Wen will sie damit überzeugen. Ich nenne sie nun Bärbel Hyperbel und sie ärgert sich grün und blau. Wenn sie könnte würde sie sich noch weiter aufblähen. Bis in alle Ritzen und Winkel kriechen, damit ich sie quasi einatmen muss. Ich habe die Nase voll. Bei meinem Versuch über sie hinwegzusteigen stolpere ich dann und falle. Wann geht sie endlich wieder.

 

cruel nature

Im Wald sind alle freundlich zu mir. Menschen, Tiere, Pflanzen und sogar Steine. Ich laufe jeden Tag durch diesen Wald und vor einiger Zeit habe ich gemerkt, dass ich ein Teil davon geworden bin. Der Förster grüßt stumm mit zwei Fingern an seinem Hut, der Buntspecht fliegt nicht weg sondern hämmert weiter, sogar der Eichelhäher zetert nicht mehr rum als würde ich in den Wald kommen um seinen Artgenossen die hübsche blaue Feder auszureißen.

Mein Gehirn braucht etwas länger sich zu gewöhnen oder vielleicht schaffte es das gar nicht. Den Schatten hinter einem Baum hält es jedesmal für eine dunkle Bedrohung, es sendet mir die Silhouette einer bösen Gestalt auf die Netzhaut und dazu einige Ausrufungszeichen wie in einem Comic. Vor dem Ast, der seit dem letzten Sturm quer über dem Weg hängt, erhalte ich eine Fallbeil-Warnung, als stünde ich in Zeiten der französischen Revolution kurz vor der Hinrichtung.

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Ich versuche Frieden zu stiften mit der kontemplativen Betrachtung moosbewachsener Felsen, lächelnder Baumrinden und einem in Stein gehauenen Engel. Ich glaube, mein Gehirn versteht die Message nicht. Den Engel starrt es verständnislos an, warum öffnet der seine Augen nicht. Er taugt nicht als Beschützer, diese Rolle muss es weiter selbst besetzen. Vielleicht mag es den Kick der potentiellen Bedrohung und den hormonellen Aufruhr, den das in meinem Körper verursacht. Ich unterstelle ihm keinen bösen Willen, es will wahrscheinlich nur regelmäßig die Systeme checken.

 

 

Flucht nach vorn

Die Tragödie von gekenterten Kriegsflüchtenden vor Augen muss die Heldin meiner Geschichte gestehen, dass sie erst ein einziges Mal in ihrem Leben wirklich geflohen ist – vor drohender Gewalt. Damals konnte sie entkommen. Eine ihrer Schwestern hatte dieses Glück nicht und ist nun tot. Seitdem gibt es nur für sie nur noch mentale Fluchten.

Beim Versuch, sie zu analysieren, kommt sie zu dem Ergebnis, dass diese Fluchten eher ein wirksamer Resistenzmechanismus gegenüber distanzverweigender Pathogene sind. Also gesunder Instinkt. Hypersensibilität. Spürsinn.

Ihre Art von auf Distanz gehen geschieht ganz bewusst auf einen kleinen Fingerzeig des Unbewussten. Sie vertraut darauf und in einer früheren Erdepoche wäre sie gut an die feindlichen äußeren Bedingungen angepasst gewesen.

Normalerweise flüchtet sie nicht aus unangenehmen Situationen, sondern stellt sich ihnen. Aber nur, wenn sie annimmt, dass sie sie in Richtung angenehme Situation verändern kann. Dafür ist sie zu großem Einsatz bereit. Der kann schon mal selbstzerstörerisch sein, weil sie im Vorfeld nicht alle Verhaltenskomponenten vorausberechnen kann. Vor allem nicht die von anderen. Unvorhergesehene Reaktionen treffen sie dann wie ein Schlag.

Die Flucht aus einem Gefängnis oder einer gewalttätigen Beziehung ist für sie unmittelbar nachvollziehbar, denn die persönliche Freiheit wiegt mehr als alles andere. Die gefühlte Freiheit. Über die objektive Freiheit erlaubt sie sich keine endgültige Meinung. Meistens haben die, die die Freiheit suchen, ihre uneingeschränkte Sympathie, egal was sie vorher angestellt haben. Auf dem Weg in die Freiheit ist sie ihre Komplizin, sie schmiedet entweder mit ihnen einen Plan oder sie tritt zur Seite, damit sie rennen können.

 

wir sind was wir tun

Glaubt man der Hirnforschung sind wir zu mindestens zwei Dritteln das was wir tun, danach kommt wie wir aussehen und ganz am Ende was wir denken, sprechen und schreiben. Haha, soviel zu zwischenmenschlicher Kommunikation, insbesondere virtueller. Dann erzähle ich jetzt mal was ich gestern gemacht habe: Ich bin gegen einen Pfosten gelaufen! Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich ein Veilchen, ja ein blaues Auge. Nur ein kleines, aber immerhin. Zu was macht mich das? Zu einer Idiotin, die nicht guckt wo sie hinläuft? Das Beste: der Pfosten ist in meiner Wohnung, ich kenne ihn also. Ich tröste mich wie ich kleine Kinder tröste: böser Pfosten, hat sich einfach in meinen Weg gestellt.